Fall Lukas: Woran erkenn ich eine Sepsis?

Experte Konrad Reinhart: Sepsis ist eine unterschätzte Todesursache. Symptome werden oft nicht richtig gedeutet
Vor einem Jahr starb der 15-jährige Lukas an Sepsis. Die Welt erfuhr davon, weil seine Mutter jetzt in den Medien vor den Gefahren warnt. Obwohl in Deutschland jedes Jahr rund 300.000 Menschen an einer Blutvergiftung erkranken und rund 70.0000 daran sterben, ist die bedrohliche Erkrankung kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert.
Warum ist das so? Eine Sepsis versteckt sich oft hinter anderen Krankheiten. Es heißt dann, der oder die, sei an einer Lungenentzündung oder an einer Grippe gestorben. Auch tritt die Sepsis vor der aktuellen Diskussion um multiresistente Keime bzw. Antibiotikaresistenzen in den Hintergrund, monieren Experten.
Sepsis oft als Grippe verkannt
„Die Sepsis wird oft verkannt, als scheinbar harmlose Grippe – auch von Ärzten oder von klinischem Personal“, weiß Sepsis-Experte Prof. Konrad Reinhart vom „Center for Sepsis control and care“ an der Universität Jena. „Ihre Symptome sind unspezifisch und werden häufig isoliert betrachtet.“ Nur in der Gesamtschau mehrerer Einzelsymptome lasse sich eine Sepsis identifizieren.“
Therapie mit Antibiotika, und zwar schnell
Es gibt Untersuchungen, nach denen bei 40 Prozent der Sepsis-Fälle, die ins Krankenhaus kommen, die Diagnose verzögert gestellt und die Patienten auch verzögert behandelt wurden. Die Sepsis muss laut Reinhart jedoch wie der Herzinfarkt als Notfall behandelt werden. „Jede Stunde zählt“, sagt Reinhart und zitiert Untersuchungen aus den USA, die zeigen: Wenn ein Patient innerhalb der ersten Stunde Antibiotika bekommt, steigt die Überlebensrate linear an. Bekommt er sie nicht, steigt entsprechend die Sterblichkeit.
Symptome einer Blutvergiftung – Fieber ist immer dabei
Wie aber kann der Laie eine Blutvergiftung erkennen, wenn sich schon Ärzte schwer damit tun? Anders als der Herzinfarkt oder Schlaganfall tritt die Sepsis nicht schlagartig auf. Sie entwickelt sich erst – trotzdem geht es manchmal recht rasch.
Dass sich die Sepsis durch einen roten Strich auf der Haut – etwa am Arm – bemerkbar macht, ist leider ein Mythos. Das kann so sein, ist es in den meisten Fällen aber nicht. Rote Flecken auf der Haut treten häufiger auf. Fieber ist das Leitsymptom einer Sepsis. Hinzukommen Schlappheit, hoher Puls, kalter Schweiß, Verwirrtheit, Schläfrigkeit – diese Symptome kennzeichnen die Sepsis, können jedoch auch von anderen Infektionen stammen. Ärzte müssen darum sofort das Blut untersuchen und sich ein Gesamtbild machen. Einzelne Symptome allein sagen noch nichts.
Richtig ist, dass eine andere Infektion eine Sepsis auslöst. Der Körper will die Bakterien bekämpfen, doch dabei greift er die eigenen Organe an. Darum ist die Blutvergiftung eigentlich keine Vergiftung im klassischen Sinnen, sondern eine Reaktion des Immunsystems auf ebendiese Infektion.
Mehr Schulungen in Früherkennung notwendig
„Egal ob Pflegekräfte und Ärzte – sie alle müssen wir in Früherkennungsmaßnahmen schulen“, sagt Sepsis-Experte Reinhart. Die Symptome seien ja offenliegend. „Man muss nur lernen, sie im Zusammenhang zu betrachten und richtig zu interpretieren“, so Reinhart weiter. „Die Sepsis frühzeitig erkennen und die zu Grunde liegende Infektion schnell und entschlossen behandeln – und nicht warten, bis das Vollbild des septischen Schocks und des Multiorganversagens vorliegt: Das ist der therapeutische Ansatz und da müssen wir hinkommen“, fordert Reinhart.
Für Lukas kam jede Hilfe zu spät. Medienberichten zufolge war eine Infektion mit Pneumokokokken der ursprüngliche Auslöser. Die eigentliche Todesursache aber war Organversagen durch Sepsis.
Nationaler Sepsis-Plan gefordert
„Wir fordern für Deutschland einen „Nationalen Sepsis-Plan“, sagt Reinhart. In ihm sollen alle notwendigen Handlungsfelder Berücksichtigung finden: von der Verbesserung der Vorbeugung, der gesundheitlichen Aufklärung in allen gesellschaftlichen Bereichen, und im Gesundheitswesen bis hin zur verbindlichen Einführung von Qualitätsindikatoren zur Sepsis-Behandlung in den Krankenhäusern. „Erfreulicherweise haben sich bereits über 70 Krankenhäuser freiwillig in einem „Deutschen Qualitätsbündnis Sepsis“ zusammengeschlossen – um einfach bei Sepsis-Fällen das Gleiche zu tun, was bei anderen lebensbedrohlichen Krankheitsbildern längst Standard ist.“, so der Mediziner. Ein Anfang, der vielleicht Leben retten kann.