Wie viele psychisch erkrankte Menschen gibt es in Deutschland?

Wie viele psychich erkrankte Menschen gibt es - die vielen Statistiken warten mit unterschiedlichsten Zahlen auf – Foto: Dreaming Andy - Fotolia
Die Kammer bezieht sich dabei auf die „Studie zur Gesundheit Erwachsener in Deutschland“ (DEGS), die vom Robert Koch Institut seit 2008 durchgeführt wird. Jede achte Krankschreibung geht auf eine psychische Diagnose zurück, berichtet die Krankenkasse DAV1 und die Deutsche Rentenversicherung gibt an, dass vier von zehn Frühberentungen auf psychischen Leiden zurückzuführen sind1.
Hans-Ulrich Wittchen und seine Kollegen von der Technischen Universität Dresden und vom Max-Planck-Institut für Psychiatrie weisen darauf hin, dass es bis ins Jahr 2000 keine bundesweite Untersuchung zur Anzahl psychisch Erkrankter gab. Es war lange unklar, wie viele Menschen betroffen sind und wie gut sie versorgt werden. Seitdem hat sich Vieles getan: Die vom Robert Koch Institut durchgeführte DEGS Studie enthält ein Modul zu psychischen Störungen und neben ihr gibt es weitere epidemiologische Studien, welche die Anzahl von psychischen Erkrankungen in Deutschland erfassen.
Hinter verschiedenen Zahlen stehen verschiedene Interessen
Es gilt jedoch genau hinzuschauen, wer die Häufigkeiten von psychischen Erkrankungen berichtet. Denn Diagnosen ziehen Diskussionen um Kosten, Versorgungsstrukturen und Behandlungskapazitäten nach sich, in denen verschiedenste Interessen vertreten werden. Dass die Zahlen so unterschiedlich ausfallen ist aber nicht nur wirkungsvoller Interessenpolitik geschuldet, sondern liegt auch in der Natur der Sache.
Denn psychische Störungen verändern sich über die Zeit. Wer heute unter einer Phobie leidet, kann bei adäquater Behandlung in einigen Monaten wieder gesund sein. Dies wirkt sich auf die Schätzung der Häufigkeit von psychischen Erkrankungen aus. Forscher unterscheiden dabei zwischen der Lebenszeitprävalenz und dem Vorkommen von psychischen Krankheiten in einem kürzeren Zeitraum, beispielsweise die 12-Monats-Prävalenz. Laut einer Studie von Jacobi haben 42 Prozent aller Bundesbürger im Laufe ihres Lebens schon einmal unter einer psychischen Störung gelitten (Lebenszeitprävalenz). Die eingangs zitierten Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer (31,1 Prozent) beschreiben hingegen eine 12-Monats-Prävalenz.
Unterschiedliche Maßstäbe führen zu unterschiedlichen Ergebnissen
Welche Zahlen berichtet werden, hängt davon ab, für welche Fragen von besonderem Interesse sind. Wenn es zentral ist zu erfahren, wie viele Neuerkrankte es im letzten Jahr gegeben hat, kann die 12-Monats-Prävalenz berichtet werden. Wenn gefragt wird, wie stark die Beeinträchtigungen in der Bevölkerung allgemein sind, kann die Lebenszeitprävalenz betrachtet werden. Doch bleibt zu bedenken, dass die Häufigkeiten der Erkrankungen keine direkten Rückschlüsse auf den Behandlungsbedarf zulassen.
Es stellen sich zwei Fragen zur Behandlung: Welches Behandlungsangebot gibt es und wer nimmt Hilfe in Anspruch? Etwa 40 Prozent der Menschen mit einer psychischen Diagnose nehmen ambulante oder stationäre Hilfsangebote in Anspruch (psychotherapeutische Behandlung, Beratungsstellen, Klinikaufenthalte). Im ambulanten Bereich ist der Hausarzt die erste Anlaufstelle. Etwa ein Drittel der Betroffenen werden nur beim Hausarzt behandelt. Während die Zahlen für den ambulanten Bereich schwer zu schätzen sind, berichtet das Statistische Bundesamt, dass innerhalb eines Jahres etwa eine Million Menschen mit psychischen Erkrankungen in Krankenhäusern behandelt werden. Das entspricht ca. 6 Prozent aller im Krankenhaus behandelter Patienten.
Autorin: Yvonne Anne Michel
Foto: © Dreaming Andy - Fotolia.com