Was Kommunen und Landräte tun, damit Menschen zuhause alt werden können

Mit oder ohne Quartiersmanagement: Menschen, die ein soziales Leben haben, bleiben länger gesund
Wohnen, Gesundheit, Arbeit – das waren die Überschriften, unter denen der Demografiekongress 2014 am Freitag in Berlin zu Ende ging. Vorgestellt wurden Ansätze, wie man den demografischen Wandel so gestalten kann, dass Menschen möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben können, ohne zu vereinsamen. Darunter waren auch so genannte Quartierslösungen. Kern des Quartiersmanagements ist, dass sich Träger von sozialen und Gesundheitsdienstleistungen vernetzen und sich Quartiersmanager vor Ort um die Menschen kümmern.
1,5 Millionen Euro stecken Städte wie Frankfurt oder Dortmund jedes Jahr in ihr Quartiersmanagement
Die Stadt Frankfurt am Main steckt zum Beispiel seit 1999 jedes Jahr rund 1,5 Millionen Euro in das „Frankfurter Modell – Aktive Nachbarschaft“, das inzwischen 18 Quartiere umfasst. Beteiligt sind Träger wie Caritas, Arbeiterwohlfahrt und Diakonie sowie Wohnungsbaugesellschaften, aber auch ehrenamtliche Helfer. „Ziel des Programms ist es, im Quartier aktive Nachbarschaften aufzubauen und so zu unterstützen, dass Potenziale der Selbsthilfemöglichkeiten optimal genutzt werden können“, sagte Horst Schulmeyer, Leiter des Frankfurter Programms. Pro Quartier gebe es einen fest angestellten Quartiersmanager, er sei eine Art Brücke zwischen Netzwerk, ehrenamtlichen Mitarbeitern und eben der Nachbarschaft. „Das sind die Kümmerer vor Ort“, sagte Schulmeyer. „Sie entscheiden, in welche Projekte das Geld am sinnvollsten gesteckt werden soll, weil sie die Nachbarschaft am besten kennen.“ Ungefähr 25 Projekte pro Kiez würden jedes Jahr gefördert. Die Palette reiche von der Einrichtung von Begegnungsstätten über Seniorensportgruppen bis hin zu Kulturangeboten oder Beschäftigungsmaßnahmen für Jugendliche. Ursprünglich sei das Modell geplant worden, um bestimmte Stadtteile vor dem sozialen Abstieg zu bewahren, so Schulmeyer. Heute solle es helfen, den demografischen Wandel mitzugestalten.
Quartiersmanager brauchen eine hohe soziale Kompetenz, aber wie lehrt man die?
Derartige Quartierslösungen sind mittlerweile in fast allen größeren Städten Deutschlands zu finden. Dass mit dem Quartiersmanager ein völlig neues Berufsbild entstanden ist, war ebenfalls auf dem Demografiekongress zu hören. Bislang gibt es dafür jedoch gar keine spezifische Ausbildung. An der Bochumer Hochschule für Gesundheit wird deshalb gerade unter dem etwas sperrigen Begriff „Gesundheitsorientierte Sozialraumgestaltung GOS“ an einem berufsbegleitenden Studium mit Bachelorabschluss gestrickt. Ab 2015 soll der neue Studiengang verfügbar sein. Prof. Josef Hilbert, der die Inhalte maßgeblich plant, erklärte, warum der Fokus des Studiengangs auf Gesundheit liegen soll. "In Städten wie Dortmund, wo viele Menschen mit Migrationshintergrund und niedrigem Bildungsstand leben, explodieren die Kosten für die Gesundheitsversorgung", betonte der Gesundheitswisenschaftler. "Wir müssen daher dringend die Gesundheitsversorgung dieser Menschen verbessern, und das gelingt langfristig nur, wenn wir in die Quartiere ausgebildetes Gesundheitspersonal schicken.“ Hilbert rechnete vor, dass Dortmund – genau wie Frankfurt - jedes Jahr 1,5 Millionen Euro ins Quartiersmanagement stecke. „Die Stadt erhofft sich dadurch, Menschen vor der stationären Pflege zu bewahren und somit ungefähr 3,5 Millionen Euro an Sozialhilfe einzusparen“, so Hilbert. Der Gesundheitswissenschaftler sieht bei der Akademisierung des Quartiersmanagers derzeit indes eine Hürde, für die er selber noch keine Lösung hat: „Quartiersmanager brauchen eine hohe soziale Kompetenz, die aber kann man nur sehr schwer oder gar nicht lehren."
Rollende Praxen und Anreize für Hausärzte auf dem Land
Soziale Brennpunkte in dieser Größenordnung kennt die Grafschaft Bentheim nicht. Der niedersächsische Landkreis nahe der holländischen Grenze ist nach den Schilderungen ihres Landrats Friedrich Kethorn ein Fleckchen Erde, wo die Welt noch in Ordnung ist. Mit einer niedrigen Arbeitslosenquote von vier Prozent, einer Geburtenrate zwölf Prozent über Bundesdurchschnitt sei die Grafschaft ein Ort, an den ihre Menschen gerne wieder zurückkehrten, betonte Kethorn. Trotzdem kann auch die Grafschaft nicht die Augen vor dem demografischen Wandel verschließen: Im Jahr 2030 wird jeder zweite Bewohner älter als 60 Jahre sein. Um die Integration älterer Menschen zu gewährleisten, hat man sich hier insbesondere für die Gesundheitsversorgung einiges ausgedacht. Abgelegen Ortschaften würden regelmäßig von einer „Rollenden Praxis“ besucht und die Niederlassung von Hausärzten werde gezielt gefördert. 500 Euro gebe es pro Monat für einen Medizinstudenten, der zusichere, dass er sich nach seinem Studium für mindestens fünf Jahre im Landkreis niederlasse, erläuterte Kethorn auf dem Demografiekongress. Für niederlassungswillige Ärzte gebe es einen Zuschuss zu den Umzugskosten. Weiter gebe es Bürgerbusse mit ehrenamtlichen Fahrern, vergünstigte Tickets für Rentner, und E-Bike-Schulungen, damit auch ältere Menschen auf dem Land mobil bleiben könnten. Und die Volkshochschulen böten spezielle Kurse für Senioren an - vom Gedächtnistraining bis zum Computerkurs.
„Es ist mehr und mehr erforderlich systemübergreifend zu denken“, zog Landrat Kethorn ein Fazit „und Erfahrungen und Wissen aus allen Gesellschaftsbereichen zu nutzen, um flexible und innovative Lösungen bedarfsgerecht zu entwickeln.“ Eine Botschaft, die auf dem Demografiekongress 2014 am 4. und 5. September in Berlin mehr als angekommen war: Über 800 Teilnehmer aus Dutzenden Branchen kamen zusammen, um sich von Rednern aus ganz unterschiedlichen Bereichen inspirieren zu lassen – eine mögliche Vernetzung nicht ausgeschlossen.
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