
Frauen befriedigen Süchte eher heimlich und neigen stärker zu Tabletten als zu Alkohol. – Foto: AdobeStock/Peter Maszlen
Drogen – egal, ob legal oder illegal – können lustig und unbeschwert und das Leben angenehmer machen, als es ist. Erst mal. In eine Sucht hineinrutschen kann man deshalb schnell – es braucht ja keine Kraftanstrengung. Von Drogen loszukommen dagegen ist bei vielen Suchtkranken eine fast übermenschliche Leistung. Alleine sieben bis acht Jahre könne es dauern, bis Suchtkranke sich ihr Leiden bloß eingestünden, berichtet ein Drogenberater, der selbst zehn Jahre exzessiv illegale Drogen konsumiert hat. Dann beginnt der Ausstieg mit Entgiftung und Entwöhnungstherapie. Im Rahmen einer Studie haben Forscher der Fachhochschule Bielefeld untersucht, was speziell Frauen die Kraft und die Motivation gibt, sich aus einer Sucht herauszuarbeiten.
Süchte: Es gibt „weibliche“ Bewältigungsstrategien
Für ihre Studie „Weiblichkeit und Sucht“ haben die Wissenschaftler aus Bielefeld das Problem nicht mithilfe einer großangelegten Studie mit standardisierten Fragebögen zum Ankreuzen ergründet. Sie haben stattdessen mit sieben suchtkranken Frauen vertiefte persönliche Gespräche zu ihren Erfahrungen und Erlebnissen geführt („qualitatives Interview“), um das Problem anhand von Einzelschicksalen zu ergründen und konkret greifbar zu machen. Im Vordergrund standen dabei die subjektiven „weiblichen“ Bewältigungsstrategien. Das langfristige Ziel: Unterstützungsangebote liefern, die speziell auf die Bedürfnisse und Lebensphasen von Frauen zugeschnitten sind, damit sie wieder aktiver am gesellschaftlichen Leben teilnehmen können.
Umgangsweisen mit Sucht: Wut, Rückzug, aktive Bewältigung
„Unser Ziel war es, zu erkennen, was Frauen benötigen, um sich aus ihrer Sucht zu befreien“, erklärt Projektleiterin Katja Makowsky. „Denn bestimmte Hilfsangebote können nur in bestimmten Phasen der Krankheitsbewältigung angenommen werden. Diese Phasen müssen daher richtig erkannt und genutzt werden.“ So zeigen Betroffene in unterschiedlichen Phasen verschiedene Umgangsweisen mit der Sucht, die von Wut über Selbstisolierung bis hin zur proaktiven Bewältigung reichen können.
Initialzündung zum Ausstieg: Anerkennen, dass man suchtkrank ist
„Krankheitseinsicht, soziale Unterstützung, die Distanz zu Suchtmitteln und die Kontrolle über das eigene Leben sind essenzielle Beweggründe und Ressourcen für die Frauen“, so das Fazit der Bielefelder Forscher. „Die mit Abstand wichtigste Ressource ist, dass die Frauen ihre Krankheit auch als solche erkennen und sich in Behandlung begeben“, sagt Havva Mazı die stellvertretende Leiterin des Froschungsprojekts. Dabei können ganz vielschichtige Beweggründe eine Rolle spielen für den ersten Schritt und das längerfristige Ziel, sich aus dem Sumpf der Sucht selbst und mit Unterstützung Dritter herauszuarbeiten. Die Kraftquellen im Einzelnen:
Kraftquelle 1: Familienverhältnisse aufrechterhalten und Kinder schützen
Zwei Beispiele: Eine aus der Türkei stammende Frau möchte mithilfe der Therapie ihre Familienverhältnisse aufrechterhalten und ihre Kinder schützen, wie sie im Interview beschreibt: „Mein Ehemann sagte mir immer: ‚Schau mal, du kennst die Situation selbst, wie es sich auf die Kinder auswirkt. Mach‘ das, was du kannst. Schreck‘ die Kinder nicht ab. Sonst würden sie in Zukunft nicht mehr zu uns kommen, und darüber wärest du sehr traurig.‘“
Auch für eine der deutschstämmigen Frauen waren Ehe und Familie die vorrangige Motivation, die Therapie zu beginnen: „Ich bin 62 und sozusagen Rentnerin, und ich muss mich irgendwie völlig neu ausrichten. Nein, ich meine, ich muss gar nichts, ich kann auch einfach weitersaufen. Aber damit geht alles kaputt. Ich gehe kaputt, meine Ehe geht kaputt, und ich bin jetzt 36 Jahre mit meinem Mann zusammen.“
Kraftquelle 2: Suche nach Sinn im Leben
Auch die Suche nach einem Sinn im Leben gibt den Frauen Kraft, um sich, teils zum wiederholten Male, auf eine Therapie einzulassen. „Ich möchte gerne herausfinden, wie ich ein sinnhaftes Leben führen kann“, sagt eine. „Es ist ja nicht damit getan zu sagen: ‚So, ich trinke jetzt nicht mehr.‘ Also das Trinken alleine ist es ja nicht. Ich möchte ja auch ein Leben leben. Mein Leben leben und nicht am Ende meines Lebens feststellen, dass ich das Leben eines anderen gelebt habe. Ein Leben muss doch auch einen Sinn haben.“
Eine andere junge Frau berichtet, dass sie in der Fürsorge für ihren schwerbehinderten Halbbruder einen Sinn gefunden hat: „Er hängt auch sehr an mir, das weiß ich. Deswegen möchte ich auf jeden Fall mein Leben auf die Reihe kriegen und auch für ihn da sein. Und das möchte ich nicht mit Drogen oder Alkohol.“
Kraftquelle 3: Lebenspartner, Familienangehörige und Freunde
Der Lebenspartner, Familienangehörige und Freunde spielen bei der Bewältigung der Suchterkrankung eine große Rolle. Sie können motivierend einwirken, im Alltag unterstützen und beispielsweise die Teilnahme an längeren Therapien erleichtern. Eine der Frauen berichtet: „Mittlerweile geht es mir besser. Ich denke einerseits, weil ich jetzt hier in der Klinik bin, aber auch, weil mein Freund mich unterstützt, wo er nur kann. Er ist immer für mich da, genauso wie meine Mutter.“ Laut der Debra-Studie der Universität Düsseldorf zum Rauchverhalten der Deutschen ist ein unterstützendes soziales Umfeld der zweitwichtigste Faktor für einen dauerhaften Erfolg.
Kraftquelle 4: Gestaltung von gesunden Beziehungen
Mehrere der Frauen berichten, dass sie die Beziehungen zu ihrer Umwelt verbessern wollen, sich aber schnell überfordert fühlen. „Eine der Frauen hat zum Beispiel Probleme damit, wieder eine Beziehung zu ihrer Mutter und ihrer Schwester aufzubauen, weil sie die beiden bestohlen hat und sich deswegen schämt“, berichtet Vize-Studienleiterin Mazı. In der Therapie möchte sie daran arbeiten. Haustiere sieht sie dabei als eine gute Möglichkeit: „Für den Anfang erst mal eine Katze. Das fehlt mir irgendwie: jemand, den ich verwöhnen kann, mit dem ich reden kann und der auf mich wartet und sich freut, wenn ich nach Hause komme.“
Kraftquelle 4: Musik, Sport, strukturierter Alltag
Hobbys und ein strukturierter Alltag schaffen Distanz zu Suchtmitteln – und diese Distanz ist ebenfalls ein entscheidender Faktor für den Therapieerfolg. Vor allem alkoholabhängige Frauen haben es schwer, da Alkohol überall und zu jeder Zeit verfügbar ist. Daher haben die Gestaltung der Freizeit sowie ein strukturierter Alltag große Bedeutung. So erzählt eine junge Patientin: „Sport hilft mir zum Beispiel gut, weil ich dann die Anspannung loswerde. Wenn mich das Verlangen überkommt, dann muss ich mich ablenken, zum Beispiel mit Musik oder eben Sport.“
Eine andere Frau erzählt: „Kochen, die Wohnung aufräumen, die Wäsche waschen – das sind vielleicht alles Kleinigkeiten, aber die müssen strukturiert sein über den Tag. Damit ich nicht irgendwann am Tag Leerlauf habe und wieder an die Sucht denke.“
Kraftquelle 5: Verantwortung übernehmen und Kontrolle zurückgewinnen
Ein weiterer Beweggrund für viele Frauen, sich aus ihrer Sucht zu befreien: Verantwortung übernehmen und Kontrolle gewinnen. So berichtet eine der befragten Alkoholikerinnen, die zweifache Mutter ist, das Trinken während der Schwangerschaften zumindest auf Zeit abgestellt zu haben. Ähnlich erging es einer 21-jährigen Mutter, die ihre ersten beiden Kinder mit 15 und 18 Jahren bekam. Beide Kinder musste sie aufgrund ihrer Suchterkrankung zur Adoption freigeben. Nun hat sie sich für eine Therapie entschieden, da sie mit ihrem dritten Kind im siebten Monat schwanger ist und diesmal das Kind selbst großziehen möchte.
Professionelle Betreuer können Frauen dabei helfen, die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen, etwa in Finanzfragen. „Ich muss wieder lernen, mit Geld umzugehen“, sagt eine. „Am Ersten des Monats, wenn das Geld kommt, fahre ich mit meiner Betreuerin immer direkt zur Bank. Dann mache ich meine ganzen Überweisungen.“