Virologe Stöhr setzt Unterlassungsanspruch gegen „Spiegel“ durch

Wegen Falschzitat: Der Spiegel verliert vor Gericht gegen den Virologen und Epidemiologen Klaus Stöhr – Foto: © Adobe Stock/ Dominik
Das Landgericht Frankfurt am Main hat dem Verlag des Magazins "Der Spiegel" verboten, ein angebliches Zitat von Prof. Klaus Stöhr zur Corona-Impfung zu verwenden. Der Virologe und Epidemiologe hatte auf Unterlassung geklagt und in erster Instanz Recht bekommen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Nach Informationen der "BILD", prüft der Spiegel-Verlag derzeit noch, ob er das Urteil akzeptieren oder dagegen vorgehen will.
Zitat aus Kontext gerissen
Was war passiert? Im Februar erschien im Spiegel ein Artikel mit dem Titel "Propheten auf dem Irrweg", indem Klaus Stöhr die Aussage "Weil die Weltbevölkerung durchseucht werde, seien Impfstoffe nicht notwendig" zugeschrieben wird. Der Spiegel bezieht sich dabei auf eine Publikation des Virologen im Fachmagazin "Nature" aus dem Mai 2020. Doch das Zitat lässt einen entscheidenden Punkt außer Acht: Stöhr hatte geschrieben, dass das Coronavirus in den nächsten ein, zwei Jahren einen Großteil der Bevölkerung infizieren werde. "Danach" werde es in der Welt ähnlich wie die bekannten relativ milden Coronaviren zirkulieren und relativ mild verlaufende Erkrankungen auslösen. Impfstoffe seien dann nicht mehr erforderlich.
Landgericht Frankfurt rügt den Spiegel
Stöhrs Aussage bezog sich also auf den genannten späteren Zeitraum und die dann erwartbaren milderen Verläufe, was der Spiegel in dem Artikel aber unterschlug. Die Zeitschrift habe den Eindruck erweckt, als habe Herr Prof. Stöhr im Frühjahr 2020 die Auffassung vertreten, dass Impfstoffe beim Umgang mit der COVID-19-Pandemie überhaupt nicht notwendig seien, rügte das Landgericht Frankfurt. In Wahrheit habe sich Stöhr sehr viel differenzierter geäußert.
„Da die Verkürzung des Zitats zu einem absoluten Zeitpunkt (Impfungen sind nicht notwendig), ohne Bezugnahme eines Zeitpunkts, ab wann dies nach Ansicht des Klägers der Fall sein könnte, einen anderen, für ihn als Wissenschaftler durchaus abträglichen Aussagegehalt hat, kann er die Unterlassung verlangen“, so das Landgericht in seiner Urteilsbegründung. Mit anderen Worten: Der Spiegel hat mit dem falschen Zitat dem Ruf des Wissenschaftlers geschadet.
Voreingenommene Berichterstattung in der Corona-Pandemie
War das Absicht? „Offen bleibt die Frage, ob hier mangelnde Sorgfalt oder Voreingenommenheit als Ursache für die Verkürzung des Zitates vorliegen könnten“, sagt Klaus Stöhr, ehemaliger Leiter des Globalen Influenza-Programms der WHO. Das unzutreffende Zitat sei für ihn besonders befremdlich, da er über mehr als 15 Jahre zur Bedeutung von Pandemieimpfstoffen international publiziert habe. „Ich glaube auch, ich hatte bei der Recherche des 'Spiegel' zu dem Artikel hinreichend deutlich gemacht, ab welchem Zeitpunkt Impfstoffe unter Umständen aus meiner Sicht keine große Rolle mehr spielen dürften.“
Das Magazin Der Spiegel hatte den Wissenschaftler für seine Recherchen nicht persönlich gesprochen, sondern nur einen neun Punkte umfassenden Fragenkatalog zugeschickt. Dazu kam die Nature Publikation. „Hätten die Mitarbeiterinnnen des "Wissenschaftresorts" @derspiegel sich nur etwas Mühe gegeben, hätten Sie weitere Interviews von mir gefunden und sich die Unterlassungsklage und den möglichen Geruch der Voreingenommenheit gespart“, twittert Klaus Stöhr am Dienstag.
Rechtsanwalt Dominik Höch, der Stöhr in diesem Fall vertritt, betont: "Der 'Spiegel' hat sehr hohe Ansprüche an Menschen, über die er berichtet und auch an die eigene Qualität der Arbeit. Es ist bedauerlich, dass er diesen Ansprüchen gerade in Pandemie-Zeiten nicht genügt hat.“ Verlässliche Informationen seien wichtiger denn je.
Auch Hendrik Streeck beklagt sich über den Spiegel
In dem Spiegel-Artikel werden noch weitere Wissenschaftler als „Propheten auf dem Irrweg“ gebrandmarkt. Darunter der Bonner Virologe Hendrik Streeck. Auch er bekam einen Fragenkatalog vom Spiegel zugeschickt. „Ich war schockiert, als ich diesen Fragenkatalog bekam“, sagte Streeck gegenüber „Welt. „Das waren keine ergebnisoffenen Fragen, stattdessen las es sich wie die Inquisition einer Wissenschaftsjournalistin, die eine offensichtlich politische Mission hat.“