Viele Alte müssen ins Krankenhaus – wegen Wechselwirkungen von Medikamenten

Patienten mit vielen Krankheiten schlucken viele Medikamente. Aber wenn bei diesen Arzneimittel-Cocktails keiner den Überblick hat, kann es gefährlich werden. Ein Geriatriearzt bringt es auf den Punkt: Je mehr Medikamente, desto mehr Krankenhausaufenthalte. – Foto: AdobeStock/mario beauregard
Ein Medikament zur Blutverdünnung nach Herzinfarkt und eins gegen hohen Blutdruck; eins gegen Osteoporose und eins gegen Gewichtszunahme bei Diabetes – und außerdem noch Insulin: Wer viele Krankheiten hat, muss auch viele Medikamente einnehmen. Das klingt plausibel, aber das kann auch gefährlich werden. Denn gerade alte Menschen finden sich plötzlich im Krankenhaus wieder – nicht wegen ihrer Erkrankungen, sondern weil mit ihrem Medikamenten-Cocktail etwas nicht stimmt.
Risiko für arzneimittelbezogene Probleme steigt stark an
„Wenn Patienten dauerhaft viele verschiedene Medikamente einnehmen müssen, steigt ihr Risiko für arzneimittelbezogene Probleme stark an“, warnt jetzt die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA). „Bei älteren Menschen sind bis zu 30 Prozent der Krankenhauseinweisungen auf unerwünschte Arzneimittelwirkungen zurückzuführen.“
Polymedikation ist laut ABDA ein häufiges Phänomen: 7,6 Millionen Bundesbürger ab 65 Jahren nehmen täglich fünf oder mehr Arzneimittel ein. In der Altersgruppe zwischen 75 und 80 Jahren braucht jeder Dritte sogar mehr als acht Medikamente.
Viele Patienten ohne Medikationsplan
Dass eine Polymedikation zum Problem wird, kann ganz verschiedene Ursachen haben. Nicht alle diese Patienten haben einen Medikationsplan. Haben sie einen, ist der oft weder vollständig noch korrekt. Vielfach stimmt der Plan nicht mit dem überein, was der Patient tatsächlich im Moment einnimmt. Das kann dazu führen, dass verschiedene (Fach-)Ärzte unabhängig voneinander im guten Glauben Medikamente verschreiben, während niemand wacht darüber, ob diese sich auch vertragen.
Medikationsplan entspricht oft nicht der Einnahmepraxis
Bei einer Untersuchung in Münster, die 500 Patienten mit Medikationsplan umfasste, entsprachen laut ABDA nur 6,5 Prozent der allein vom Arzt erstellten Medikationspläne der tatsächlichen Einnahmepraxis. Oder andersherum gesagt: Mehr als 90 Prozent der Medikationspläne sind nach Einschätzung der ABDA fehlerhaft. Gründe für die Diskrepanzen sind unter anderem, dass die Namen verordneter Präparate oft nicht mit den aufgrund der Rabattverträge in der GKV abzugebenden Präparaten übereinstimmen. Teilweise werden Arzneimittel aufgeführt, die der Patient gar nicht mehr nimmt, oder es fehlen verschreibungsfreie Arzneimittel, die der Patient sich unabhängig vom Arzt besorgt.
Ab 2022: Vor-Ort-Apotheken sollen Medikation überwachen
Die Apothekerverbände sprechen von einer regelrechten „Versorgungslücke“ und schlagen Alarm: „Es ist höchste Zeit, dass das Problem angegangen wird", warnt ABDA-Präsidentin Gabriele Overwiening. Die Apotheken seien oft die einzige Instanz, die einen vollständigen Überblick über die aktuelle Selbstmedikation eines Patienten habe. „Aber die vollständige Medikation des Patienten zu erfassen und auf Risiken zu überprüfen, ist aufwändig und geht weit über das 'normale' Beratungsgespräch mit dem Patienten hinaus“, sagt die Apotheker-Präsidentin. Hoffnung verknüpft Overwiening mit dem „Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz“, das im Jahr 2022 in Kraft treten soll: Apotheken sollen diese Kontrollaufgabe dann mit den Kassen abrechnen können und den Versicherten stünde diese Leistung damit auch zur Verfügung.