Verkaufsverbot für Silvesterfeuerwerk – 80 Prozent weniger Augenverletzungen

Kann ins Auge gehen: Rund 500 Menschen müssen normalerweise am Jahreswechsel in Spezialkliniken für Augenverletzungen, weil sie durch explodierende Böller oder Raketen verletzt wurden. Seit dem corona-bedingten Pyrotechnik-Verkaufsverbot vor einem Jahr ist das anders. – Foto: AdobeStock/stroblowski
Positiv betrachtet ist Silvester das Fest für große Kinder: der Tag (oder die Nacht), an denen man es ganz im wörtlichen Sinn einmal so richtig krachen lassen kann. Wo man nach Herzenslust öffentlich zündeln und Raketen ins All schießen darf – für bunten, pyrotechnischen Lichterzauber am Himmel, mit eigenen Händen erschaffen. Kritiker dagegen sagen: Es ist die gefährlichste Nacht des Jahres. Millionen Amateure unter Alkoholeinfluss hantieren enthemmt und im Zustand gedrosselter Geschäftsfähigkeit mitten in Menschenmengen mit leichtexplosivem Kriegsmaterial. Die Folgen: Hausbrände, Feinstaub-Spitzenwerte, wochenlang mit Glasscherben und Müll übersäte Gehwege. Und: eine sprunghaft ansteigende Zahl von Verletzten. Am schlimmsten: Augenverletzungen – häufig mit bleibenden Schäden. Ist das den Spaß wert?
Silvesterfeuerwerk: 500 Augenverletzte müssen ins Krankenhaus
Nein, heißt es jetzt bei der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft (DOG). Die medizinisch-wissenschaftliche Fachgesellschaft für Augenheilkunde führt seit dem Jahreswechsel vor fünf Jahren regelmäßig Umfragen an den deutschlandweit notdienstleistenden Augenkliniken durch, um die Anzahl und Schwere von Augenverletzungen zu erfassen, die sich in den Tagen um Silvester durch Feuerwerkskörper ereignen.
Die Erhebungen zeigen: Pro Jahr erleiden durchschnittlich etwa 500 Personen so schwere Augenverletzungen, dass sie im Krankenhaus behandelt werden müssen. Ein Viertel davon muss sogar stationär bleiben. Im vergangenen Winter aber änderte sich der Studie zufolge die Situation grundlegend: Zum Jahreswechsel 2020/21 sprach die Politik ein deutschlandweites Verkaufsverbot für Feuerwerkskörper aus, um die Krankenhäuser in der Covid-19-Pandemie zu entlasten; vielerorts galten zudem Ausgangsbeschränkungen, Versammlungs- und Böllerverbote.
Typische Verletzungen: Verbrennungen, abgerissene Finger, Knochenbrüche
Positives Resultat dieser von vielen als schmerzhaft empfundenen Restriktionen: Die Verletztenzahl in den Augenkliniken an Silvester/Neujahr ging drastisch zurück – von den in Vorjahren üblichen etwa 500 auf 79 Personen zum Jahreswechsel 2020/2021. In dieser Zahl enthalten sind nicht die vielen anderen für die Neujahrsnacht typischen Verletzungen und deren Folgen: Verbrennungen, abgerissene Finger, Hand- und Knochenbrüche, Notamputationen.
„Verkaufsverbot hatte eindeutig einen Schutzeffekt“
„Das bedeutet einen Rückgang bei den Augenverletzungen auf weniger als 20 Prozent der Vorjahreswerte“, betont Hansjürgen Agostini von der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg. „Wir stellen fest: Verkaufsverbot und Versammlungsbeschränkungen hatten eindeutig einen Schutzeffekt.“ Der registrierte Effekt entspricht internationalen Studien, wonach in Ländern oder Regionen mit Verbot von privatem Feuerwerk die Inzidenz von Augenverletzungen durch Pyrotechnik um 87 Prozent sinkt.
Silvesterfeuerwerk: Mehrheit der Opfer hat nicht selbst gezündet
Gesundheitsschäden beim Silvesterfeuerwerk treffen offenbar mehrheitlich zuschauende Dritte. »Über alle Untersuchungsjahre hinweg gaben rund 60 Prozent der Patienten an, den Feuerwerkskörper nicht selbst gezündet zu haben«, heißt es in der Studie weiter.
Bei 40 Prozent der Verletzten: Dauerhafter Sehverlust
„Unbeteiligte, Kinder und Jugendliche traf es stets besonders häufig“, berichtet Ameli Gabel-Pfisterer von der Klinik für Augenheilkunde am Klinikum Ernst von Bergmann in Potsdam. Demnach zündete mehr als die Hälfte der Verletzten den Feuerwerkskörper nicht selbst, und der Anteil der Minderjährigen betrug bis zu 40 Prozent – obwohl sie nur 17 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachen. „Tragischerweise ist bei 40 Prozent der Verletzten ein dauerhafter Sehverlust zu erwarten“, sagt Gabel-Pfisterer.
Unfallopfer berichten: „Wurde mit Feuerwerkskörpern beworfen“
Was die Studienautoren als besonders alarmierend werten: Einige Unfallopfer erklärten, mit Feuerwerkskörpern beworfen worden zu sein. „Absichtliche Angriffe auf Unbeteiligte sind katastrophal“, kritisiert DOG-Experte Agostini. „Das gilt auch für Attacken auf Rettungspersonal, die neuerdings stattfinden.“
Vision der Augenärzte: Professionelles statt privates Feuerwerk
Vor dem Hintergrund der dramatischen Zahlen will die Arbeitsgruppe „Feuerwerksverletzung“ der Deutschen Ophtalmologischen Gesellschaft eine Petition für sicheres Silvesterfeuerwerk starten. „Ziel dieser Initiative ist, privates durch gemeinschaftliches, professionelles Feuerwerk zu ersetzen“, erläutert Gabel-Pfisterer. „Ein solches Feuerwerk, das sich privat, über Bürgerspenden oder durch Gemeinden finanziert, kann vielfältig und prächtig sein und zum Erlebnis im Dorf, in der Stadt oder Metropole werden“, ergänzt Agostini. Neben professionellen Feuerwerkern könnten auch angeleitete kommunale Spezialisten – beispielweise aus den Reihen der lokalen Feuerwehr – für Qualität und Sicherheit sorgen.