
Besinnliche Weihnachtszeit? Viele sind selten so im Stress wie da. – Foto: AdobeStock/triocean
Weihnachten – das Fest der Liebe. Grenzenlose Harmonie, alle sind sich zugewandt, tiefenentspannt, freigebig und großmütig. Das ist das Ideal, das ist die Theorie. Weil wir alle Menschen sind, sieht die Wirklichkeit oft anders aus, selbst wenn es alle gut meinen. Viel zu wenig Zeit für viel zu viele Verpflichtungen oder Vorhaben inner- und außerhalb der Küche, überfüllte Geschäfte und Innenstädte, in denen einem „die anderen“ ständig im Weg sind, Konsumrausch, Musikgedudel, Erwartungen, volle Bäuche und zu viel Alkohol, der Menschen lustig machen kann – aber auch merkwürdig und enthemmt. Der Wunsch nach Familienromantik bringt bisweilen Charaktere zusammen, die schon wissen, warum sie sich das ganze Jahr über mit Erfolg aus dem Weg gehen. Was kann man tun, damit es möglichst stressfrei läuft, wo es doch sehr stark menschelt, an Weihnachten?
Weihnachten: Eine mächtige Institution – und eine zweischneidige
Weihnachten – das sei eine mächtige Institution und Gesellschaftsleistung, aber immer auch eine ambivalente Sache, sagt Marcel Schütz, Gesellschaftsforscher an der „NBS Northern Business School“ in Hamburg. Sein Augenmerk gilt den Beziehungen und Interaktionen rund um die Festtage. Wie bereiten sich die Menschen auf die besondere Zeit vor, wie prägen Rituale und Erwartungen den Umgang? Wie liegen Konfliktpotenziale? Schützt gibt Anregungen zur weihnachtlichen Wohltemperierung.
Den Erwartungsstau zu Weihnachten managen
„Zu Weihnachten gibt es eine Art Erwartungsstau“, beobachtet der Hamburger Sozialwissenschaftler. „Die kurze Zeit des Festes soll möglichst perfekt verbracht werden. Dass das mitunter anstrengend wird, liegt auf der Hand", sagt Schütz. Sich dessen bewusst zu sein und die eigenen Erwartungen etwas herunterschrauben, kann vor Enttäuschungen bewahren.
Viele auf engem Raum: Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten verhindern, dass es kracht
Viele Menschen müssen erst mal in diesem Fest ankommen: rein geographisch, nach einigen Stunden aufregender Reise; und dann auch im übertragenen Sinn. Oft im Elternhaus, viele Menschen auf wenig Raum, mit freudigen Erwartungen, aber auch Alltagssorgen im Gepäck. „Jeder ist bemüht zu Weihnachten möglichst weihnachtlich zu funktionieren. Anstrengend wird es, wenn man dabei gegen eigene Gefühle ankämpfen muss. Man geht vielleicht gar nicht vollkommen gelöst und freudig in die Feiertage, sondern trägt vielmehr etwas mit sich, das einem Gedanken macht", sagt der Sozialwissenschaftler. Er rät dazu, sich nicht sofort mit allen Plänen und Details zu behelligen und sich Freiräume und Rückzugsmöglichkeiten während der Festtage einzuräumen – gerade wenn man, wie in vielen Familien, gut und gern eine halbe Woche aufeinander hockt.
Gespräche: Vorsicht mit Politik, Heikles lieber unter vier Augen
Weil Familien häufig nur zu bestimmten Anlässen wie Weihnachten in dieser ganzen Konstellation zusammenfinden, gibt es natürlich Punkte, die man mit einzelnen Mitgliedern besprechen möchte. „Hier muss man schauen, ob der Moment passt. Bei grundsätzlichen und politischen Themen können naturgemäß die alters- und lebensspezifisch unterschiedlichen Standpunkte hervortreten."
Schütz empfiehlt, kommunikativ auf Sicht zu fahren. Wenn man merkt, dass ein Thema Irritation und Ärger auslöst – lieber umgehen beziehungsweise konstruktiv abmoderieren. Man könne einander am Rande, optimalerweise erst am 27. Dezember, kurz zur Seite nehmen und Dinge persönlich klären. Selbst in der Familie werde es zur Zumutung, wenn man alles vor allen ausdiskutiere.
Besuchsprogramm: Weniger ist mehr
In vielen Familien gibt es ein ambitioniertes Besuchsprogramm. „Hinter vorgehaltener Hand werden viele sagen: Weniger ist mehr, und können wir es nicht etwas langsamer angehen?", sagt Schütz. Natürlich wolle man einander nicht vor den Kopf stoßen. An Weihnachten werde jede Einsparung in puncto eigene Präsenz schnell als Entzug von Aufmerksamkeit empfunden. Da helfe es, Achtsamkeit im Blick auf die individuellen Bedürfnisse aufzubringen.
Musik, Essen, Gottesdienste: Wie man viele Geschmäcker unter einen Hut bekommt
Der Preis für die Gemeinsamkeit, aber auch die Voraussetzung dafür, ist die Bereitschaft zu Kompromissen. Man kann ein derart traditionsgetränktes Fest nicht für jeden Lebensstil und Geschmack genau passend aufziehen. Der eine hängt an der Weihnachtsmusik, der andere an der edlen Nordmanntanne. Die Kinder wollen Geschenke. Dem nächsten bedeutet all das nicht ganz so viel, dafür die freien Tage, die Gespräche und das Essen. Gesellschaftsforscher Schützt sagt: „Eine etwas oberflächliche Synchronisierung der Emotionen und Vorstellungen ist somit ziemlich normal."
Sinnvoll sei es, sich zwanglos auf eine gute Mischung weihnachtlicher Beschäftigungen zu verständigen: „Beispielsweise ein paar Basis-Rituale wie Gottesdienstbesuch, Weihnachtsessen, Spaziergang oder Gesellschaftsspiele. Nennen wir es ,Programmdiversifikation‘ oder einfach Abwechslung. Der eine Teil verzieht sich zum Plausch, der andere Teil schaut einen Film. Wieder andere wollen mal joggen, um den Kopf von all dem Kerzenduft und der Weihnachts-CD freizukriegen."
Nach dem Trubel: Freiräume für entspannte Momente schaffen
„Ich denke, es kommt darauf an, dass man weiß, was einem die Tage bedeuten“, sagt Schütz. Und dass man sich nach all dem Rennen und Rasen das ganze Jahr doch ein paar schöne, entspannte Momente gönnt, an die man sich noch lange erinnert. „Man kann mit lauter Geschenken nicht so glücklich machen wie mit der Zeit, die man miteinander verbringt. Denn das wird man nicht immer haben."