
Bei Fruchtfliegen wirkt Zucker wie ein Antidepressivum – Foto: ©jeanete_ehab - stock.adobe.com
Anhaltender Stress erzeugt bei der Fruchtfliege (Drosophila melanogaster) einen depressionsartigen Zustand aus. Dieser zeigte sich in einem veränderten Verhalten beim Klettern, Laufen und der Balz. Wie beim Menschen geht er bei der Fruchtfliege mit einem Serotoninmangel einher und kann durch Antidepressiva behoben werden.
Aber auch die Fütterung von Zucker bringt eine Verbesserung, die fast so wirksam ist wie die Behandlung der Fliegen mit Lithium. Diese Substanz wird seit rund 50 Jahren bei Patienten mit bipolaren Störungen oder Depression erfolgreich eingesetzt. Die Wissenschaftler hoffen, mithilfe dieses Erkenntnisse Strategien entwicken zu können, um die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) gegen Stress und depressive Erkrankungen zu stärken, teilte die Universität mit.
Fliegen wurden durch Vibrationen gestresst
Die Mainzer Biologen aus der Arbeitsgruppe von Prof. Roland Strauss lieferten die Fliegen über mehrere Tage hinweg unkontrollierbarem Stress aus, der durch wiederholte Vibrationen von 300 Hertz hervorgerufen wurde. Im Verlauf von drei Stresstagen nahm die Bereitschaft der Tiere, eine Lücke einer bestimmten Breite zu überklettern, kontinuierlich von 50 auf 30 Prozent ab. Die gestressten Fliegen zeigten sich in ihrer Laufaktivität und dem Balzverhalten weniger motiviert als die nicht gestresste Kontrollgruppe. Das Fluchtverhalten dagegen funktionierte normal, das heißt die Fliegen waren nicht körperlich beeinträchtigt.
Im nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler, ob sich der depressionsähnliche Zustand der Fliegen durch Medikation mit Lithium verbessern lässt. Lithium wird als Lithiumchlorid bei depressiven oder manisch-depressiven Patienten erfolgreich eingesetzt, die genaue Wirkungsweise ist allerdings unbekannt.
Nach einer Lithium-Gabe entspannten sich die Fruchtfliegen wieder
Nach dreitägigem Stress brachte die Verabreichung von 50 tausendstel Mol Lithiumchlorid eine Erleichterung von dem depressionsartigen Zustand und führte darüber hinaus zu manischem Kletterverhalten. Die Gabe von nur 5 tausendstel Mol reichte aus, um die gestressten Fliegen zu entlasten und die normale Klettermotivation wieder herzustellen.
„Wir können sowohl manisches Verhalten als auch eine normale Entspannung von depressionsartigen Zuständen gezielt auslösen. Daher ist anzunehmen, dass sowohl beim Menschen als auch bei gestressten Fliegen biochemische Signalwege, die evolutionsgeschichtlich seit alters her erhalten sind, eine Rolle spielen“, teilt Roland Strauss dazu mit. Dies öffne die Tür, um die Funktionsweise von Lithium in der Therapie zu erforschen.
Zucker wirkte wie ein Antidepressivum
Eine wichtige Rolle bei der Signalübertragung im Gehirn und damit für das Motivationssystem spielt der Neurotransmitter Serotonin. Ein Mangel wird bei Säugetieren als Ursache von Depressionserkrankungen angenommen. Wurden die gestressten Fliegen mit dem Serotoninvorläufer L-5-Hydroxytryptophan gefüttert, konnten sie sich ebenfalls von dem depressionsartigen Zustand erholen.
Fast der gleiche Effekt stellte sich mit einer fünfprozentigen Zuckerlösung ein – eine Zufallsentdeckung, weil die Wissenschaftler L-5-Hydroxytryptophan zunächst mit zuckerhaltiger, blauer Lebensmittelfarbe markiert hatten. Bei regelmäßiger Zuckergabe nach Stressattacken ist sogar eine präventive Wirkung zu erzielen.
Stress verursacht bei der Fruchtfliege Depressionen
Ein Mangel an Serotonin zeigt sich bei den einer Depression ähnenden Zuständen nur in einem bestimmten Areal des Gehirns von Drosophila, dem Alpha-Lobus des Pilzkörpers. Der Pilzkörper ist die wichtigste Lernstation des Gehirns und vergleichbar mit dem Hippocampus der Wirbeltiere. Eine Aktivierung des Alpha-Lobus, zum Beispiel durch Zucker, fördert das Kletterverhalten von Drosophila, während eine Aktivierung des Gamma-Lobus die Klettertätigkeit hemmt.
Ist der Gamma-Lobus komplett zerstört, kann auch keine Depression mehr ausgelöst werden. „Das Serotoninsystem hält die Tiere in der Balance. Ein bisschen Stress ist gesund und fördert die Aktivität, zu viel Stress dagegen verursacht Depressionen und Antriebslosigkeit“, fasst Strauss zusammen. Auf Basis dieser Ergebnisse wollen die Mainzer Neurobiologen als nächstes untersuchen, wie es genau zur Akkumulation von Stress als Auslöser von Erkrankungen kommt.
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