Späterer Schulbeginn erhöht Leistungsfähigkeit der Schüler

Zu müde zum Lernen? Das geht vielen Schulkindern so. Ein späterer Schulanfang könnte dem Problem abhelfen. – Foto: ©WavebreakMediaMicro - stock.adobe.com
Für die meisten Schüler ist es eine Qual: das frühe Aufstehen. Untersuchungen zeigen, dass 70 bis 80 Prozent dauerhaft übermüdet sind. Die Folgen sind mangelhafte Konzentrationsfähigkeit und nachlassende Leistungen. Sogar Depressionen und körperliche Erkrankungen sind möglich. Seit einiger Zeit wird daher ernsthaft über einen späteren Unterrichtsbeginn diskutiert. Doch würde das tatsächlich etwas nutzen? Forscher von der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) in München haben das nun untersucht und ein Flexi-Modell des Gymnasiums Alsdorf wissenschaftlich begleitet.
Mehr Selbständigkeit durch flexiblen Schulbeginn
Für den Feldversuch verlegte das Gymnasium den Schulbeginn nicht nur nach hinten, sondern führte ein flexibles Modell ein. Danach können die Schüler der Oberstufe jeden Tag selbst entscheiden, ob sie schon zur ersten Stunde kommen oder erst zur zweiten. Diese Form der Gleitzeit ist möglich, weil die Schule nach dem sogenannten Dalton-Plan arbeitet. Einen Teil des Stoffes müssen sich die Schüler nach dieser US-amerikanische Idee in jeweils längeren Projektphasen selbständig erarbeiten. Im Stundenplan sind dafür zehn Stunden pro Woche vorgesehen, die Hälfte davon liegt jetzt auf der Acht-Uhr-Schiene. Kommen die Schüler später, müssen sie den Stoff in den Freistunden oder nach dem regulären Unterrichtsschluss nachholen.
Die Chronobiologen um Eva Winnebeck und Till Roenneberg vom Institut für Medizinische Psychologie der LMU begleiteten drei Oberstufen-Jahrgänge jeweils drei Wochen vor und sechs Wochen nach der Einführung des Flexi-Modells. Dazu ließen sie täglich Schlafprotokolle führen und statteten gut die Hälfte der Schüler mit Aktivitäts-Trackern aus. Zum Schluss gaben die Jugendlichen Auskunft über ihr Schlafverhalten, ihr Wohlbefinden und ihre Konzentrationsfähigkeit im Unterricht und beim Lernen.
Konzentrationsfähigkeit und Zufriedenheit erhöht
Überraschenderweise nutzen die Schüler ihre neue Freiheit, später zu kommen, gar nicht so exzessiv wie erwartet. So ließen sie im Durchschnitt nur zweimal pro Woche die erste Stunde ausfallen. Auch die Schlafzeiten verlängerten sich nur unwesentlich. Trotzdem waren die Schüler sehr zufrieden mit dem neuen Modell. Alle gaben an, besser zu schlafen und auch in der Schule konzentrierter zu sein. „Vielleicht reicht schon die Möglichkeit, frei entscheiden zu können und nicht dem Diktat des Weckers ausgeliefert zu sein, um viele Knoten zu lösen“, vermutet Winnebeck. „Flexible Systeme stellen eine tragfähige Alternative dar, wenn man den Schlaf von Jugendlichen verbessern will“, so die Autoren.
Gesellschaft hat sich verändert
Möglichst früh, noch vor Sonnenaufgang aufzustehen, war in der alten Agrar- und auch in der Industriegesellschaft eine Notwendigkeit. Mit der Ausbreitung der Dienstleistungsgesellschaft hat sich dies jedoch bereits geändert, und in der heutigen Informationsgesellschaft haben sich die Zeiten noch einmal nach hinten verschoben. Viele Arbeitnehmer und erst recht die Selbständigen beginnen erst um 9 oder 10 Uhr mit der Arbeit – dafür hat sich aber auch der Arbeitsschluss nach hinten verlagert bzw. ist flexibler geworden.
Dass viele immer noch früher anfangen zu arbeiten, beruht meist auf Konvention oder auf der Vorstellung, nur wer früh morgens mit der Arbeit beginne, bringe wirklich Leistung. Und dieses Denken ist auch in der Schule nach wie vor präsent. Ob das wirklich sinnvoll ist, bleibt fraglich. Die aktuelle Studie zeigt jedenfalls, dass mehr Flexibilität der Leistungsfähigkeit, aber auch der Stimmung von Schülern guttun würde. Die Gesellschaft hat sich längst verändert – wann wird es auch die Schule tun?
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