Sonst geschieht das Undenkbare: Krebsorganisationen befürchten Kollaps des Gesundheitssystems

Notruf aus der Krebsmedizin: Können Krebspatienten bald nicht mehr adäquat behandeln – Foto: © Adobe Stock/ Orths Medien
Warnungen und Appelle gibt es in Pandemiezeiten viele. Einen dringlichen Notruf haben nun die drei größten Krebsorganisationen Deutschlands abgeschickt. Am Montag warnte die „Corona Task-Force“ der Deutschen Krebshilfe, des Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) und der Deutschen Krebsgesellschaft (DKG) vor einem Kollaps des Gesundheitssystems. Aufgrund zunehmender Versorgungsengpässe werde die Situation für Krebspatienten immer besorgniserregender. Viele Patienten könnten bald nicht mehr intensivmedizinisch behandelt werden, mit heute noch gar nicht absehbaren Folgen, hieß es in einer Mitteilung vom Montag. In den großen deutschen Krebszentren werde die Sorge der Corona Task Force uneingeschränkt geteilt.
Lage war noch nie so schlimm wie jetzt
„Wir brauchen jetzt unbedingt eine Kehrtwende der Corona-Lage, sonst geschieht das in Deutschland eigentlich Undenkbare: Wir werden sonst nicht mehr die adäquate und zeitgerechte Versorgung jedes einzelnen Krebspatienten sicherstellen können", warnt Professor Dr. Carsten Bokemeyer, Sprecher des Netzwerks Comprehensive Cancer Center der Deutschen Krebshilfe. „Seit Beginn der Pandemie haben wir mit Einschränkungen in der Versorgung zu kämpfen, aber noch nie haben diese sich so einschneidend entwickelt wie in der jetzigen dritten Welle."
Täglich erhalten 1.400 Menschen eine Krebsdiagnose
Jeden Tag bekommen in Deutschland 1.400 Menschen die Diagnose Krebs gestellt. Doch wenn sie nicht mehr rechtzeitig versorgt werden könnten, so die Task-Force, sei Schlimmstes zu befürchten. "Die Langzeitfolgen für Krebspatienten, die heute nicht rechtzeitig diagnostiziert und behandelt werden können, sind noch gar nicht absehbar", sagt DKFZ-Chef Prof. Michael Baumann. "Wir werden zukünftig mit vielen Patienten konfrontiert werden, deren Krebserkrankung zu spät entdeckt wurde und deren Heilungschancen dadurch verringert sind. Das bedeutet: Die Krebssterblichkeit wird nach oben schnellen."
Schon nach der ersten Welle im Frühsommer des vergangenen Jahres hatten die drei Organisationen von der Politik eine Anpassung der Pandemie-Politik gefordert. Hierzu gehörte unter anderem der Wunsch, dass bei Überlastung einzelner Kliniken die Patientenversorgung auch von anderen Einrichtungen in der jeweiligen Region übernommen werden muss - falls dies für den einzelnen Patienten medizinisch vertretbar sei. Doch gehört wurde die Forderung offenbar nicht.
Kritik an fehlender Strategie
"Eine solche Strategie haben wir politisch bis heute nicht wahrgenommen. Im Gegenteil. Wir hatten im Sommer letzten Jahres, als die Infektionszahlen sehr niedrig waren, den Eindruck, dass sich die Politik viel zu sehr auf einen schnellen Erfolg der Impfung verlassen hat“, stellt Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Deutschen Krebshilfe, fest.
Hier sei eindeutig versäumt worden, eine Strategie für die Herausforderungen im Gesundheitssystem während der Pandemie zu entwickeln. Dies räche sich nun. „Weitere Infektionswellen waren vorhersehbar und jetzt haben wir wieder diese Versorgungsnot, dramatischer als zuvor.“ Zweifel wurden geäußert, ob wirklich allen politisch Verantwortlichen bewusst sei, dass die 1.400 Menschen, die jeden Tag die Diagnose Krebs erhalten, auch zeitnah entsprechend versorgt werden müssten.
Kritik üben die Krebsorganisationen auch an der Impfkampagne. Der Politik sei es nicht gelungen, „eine Impfstrategie auf den Weg zu bringen, die innerhalb kurzer Zeit die Infektionswellen brechen kann", betont DKG-Präsident Prof. Thomas Seufferlein. "Auch hier sehen wir dringenden Handlungsbedarf." Die jetzige Impfstrategie müsse mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln forciert werden, um das Gesundheitssystem zu entlasten.
Zudem appellieren die Krebsorganisationen an die Solidarität der Bevölkerung. Halten Sie sich an die Corona-Maßnahmen und nehmen Sie Impftermine wahr, um die Infektionszahlen zu senken und das Gesundheitssystem zu entlasten. Auch zum Schutz der zahlreichen Krebspatienten