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So unterschiedlich bewerten Palliativmediziner Methadon in der Krebstherapie

Mittwoch, 28. Juni 2017 – Autor:
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, hält wenig vom Einsatz von Methadon in der Krebstherapie. Er warnt vor dem Geschäft mit der Hoffnung. Kollegen sehen das ganz anders.
Methadon als Krebsmittel: Ob pro oder contra, alle Einschätzungen beruhen lediglich auf persönlichen Erfahrungen, weil klinische Studien fehlen

Methadon als Krebsmittel: Ob pro oder contra, alle Einschätzungen beruhen lediglich auf persönlichen Erfahrungen, weil klinische Studien fehlen – Foto: ©Picture-Factory - stock.adobe.com

Die aktuelle Diskussion um Methadon als Krebsmittel schlägt Wellen. Im Deutschlandfunk Kultur äußerte sich der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, am vergangenen Freitag kritisch. Es gebe keine Untersuchung am Menschen, die die Vorteile des Schmerzmittels bei Krebserkrankungen belege, betonte der Mediziner. Selbst in der Schmerztherapie sei Methadon nicht das Mittel der ersten Wahl. Über die positive Berichterstattung in letzter Zeit sei er vielmehr verwundert. „Vor nicht ganz zwei Jahren wurde sogar diskutiert, ob Methadon und ähnliche Medikamente, also alle Opiate, nicht sogar einen schädlichen Effekt auf Krebserkrankungen haben, sodass der Krebs schneller wächst“, sagte er dem Hörfunksender. „Unsere Erfahrung ist, dass das eher negativ ist und dass diese Medikamente dann auch vielleicht schädlich sein können für den Körper.“

Iserlohner Palliativmediziner gibt Krebspatienten Methadon

Der Iserlohner Palliativmediziner und Hausarzt Hans-Jörg Hilscher sieht das ganz anders. Er setzt Methadon schon seit fast 20 Jahren bei Schmerzpatienten in Hospizen ein und hat erstaunliche Erfahrungen damit gemacht. Viele Patienten lebten besser und länger, als es ihnen die Diagnose zugestanden hätte. „Das habe ich mir fast zehn Jahre angeschaut“, erklärte der Mediziner kürzlich in einem Interview mit dem Magazin „Mamazone“. Bei den Krebspatienten habe er das Schmerzmittel schließlich mit dem Zytostatikum Methotrexat kombiniert und so die lebensbedrohliche Bauchwassersucht und Pleuraergüsse unterbunden. Den antitumoralen Effekt von Methadon erklärt der Mediziner damit, dass Tumorzellen nach einer gewissen Zeit Pumpen bilden, um Chemotherapeutika rauszuschmeißen, also resistent werden. Dieser Prozess werde durch die beiden Substanzen Dextro- und Levo-Methadon (D,L-Methadon) blockiert. 

Inzwischen arbeitet Hilscher mit Claudia Friesen von der Universitätsklinik Ulm zusammen, die nahezu zeitgleich entdeckte, dass Methadon die Wirkung einer Chemotherapie verstärken kann. Die Molekularbiologin hat ihre Entdeckung zwar im Labor gemacht – an Zellen und Mäusen – jedoch besitzt sie inzwischen eine Kartei mit rund 350 Patientendaten, die den Rückgang und mitunter das völlige Verschwinden von Metastasen unter Methadon dokumentieren. „Wir sehen Komplettremissionen, wie wir sie noch nie zuvor gesehen haben", sagte der Mediziner vergangene Woche bei sternTV. 

Ersatzdroge mit schlechtem Ruf

Trotz dieser Erfolge scheuen sich viele Ärzte, Methadon in der Krebstherapie einzusetzen. Einmal weil es bis heute keine prospektiven klinischen Studien dazu gibt. Zum anderen hat Methadon einen schlechten Ruf als „Ersatzdroge“ erworben. Es wird Heroinsüchtigen zur Substitution gegeben und unterliegt der Betäubungsmittelverordnung. Da trauen sich viele nicht ran.

Dabei ist Methadon nach Auskunft von Hans-Jörg Hilscher von allen Opioiden dasjenige mit den geringsten Nebenwirkungen. Jedenfalls wenn man es in den niedrigen Dosen verschreibt, die für die Schmerz- und Krebstherapie erforderlich sind. Das bestätigt auch eine gemeinsame Studie der Charité und der Uniklinik Ulm, wonach es unter Methadon allenfalls zu Übelkeit und Verstopfung kommt.

Für Palliativmediziner Radbruch scheint all das keine Rolle zu spielen. Er zeigt zwar Verständnis dafür, dass sich Menschen nach einer Krebsdiagnose an jeden Strohhalm klammern. „Leider werden mit diesen Strohhalmen dann auch Geschäfte gemacht", kritisierte er im Deutschlandfunk.

Appelle an Gröhe auf Twitter

Kritiker könnten ihm vorwerfen, dass man mit Methadon gerade eben keine Geschäfte machen kann. Die Tropfen sind so billig, dass sich klinische Studien für die Pharmaindustrie nicht lohnen. Allein eine Phase-II-Studie kostet bis zu 1,5 Millionen Euro. So viel Geld gibt einer nur dann aus, wenn er hinterher etwas zurückbekommt. Und das ist bei Methadon, das für eine vierwöchige Therapie zwischen 8 und 20 Euro kostet, nicht der Fall. Auf Twitter gehen bereits Appelle an Bundesgesundheitsminister Gröhe ein: „Warum greifen Sie nicht ein und ermöglichen gegen die Interessen der Pharmalobby klinische Studien zu Methadon?“, fragt ein Nutzer.

In der Tat könnten nur klinische Studien bestätigen, ob Methadon ein Durchbruch in der Krebstherapie ist – oder eben auch nicht.

Foto: © Picture-Factory - Fotolia.com

Hauptkategorien: Berlin , Gesundheitspolitik , Medizin
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