
Schlafforscher raten dazu, die Sommerzeit wieder abzuschaffen und die frühere Normalzeit - heute Winterzeit - wieder einzuführen – Foto: ©weseetheworld - stock.adobe.com
Seit Juli 2018 läuft eine europaweite Online-Umfrage zur jährlichen Zeitumstellung. Die EU-Kommission will wissen, ob die Bürger die Umstellung abschaffen und ob sie dann die Sommer- oder Winterzeit beibehalten möchten. Experten der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM) plädieren dafür, zu der jetzt Winterzeit genannte Normalzeit zurückzukehren.
Schlafen und Wachen wird wesentlich bestimmt durch die so genannten zirkadianen Rhythmen, die durch die Innere Uhr sowohl untereinander als auch zum äußeren Hell-Dunkel-Wechsel synchronisiert werden. Ein nicht-visueller Rezeptor im Auge sorgt dafür, die innere Uhr des Menschen an die äußeren Gegebenheiten anzupassen: Er reagiert nur auf den Blauanteil des Sonnenlichts reagiert und funktioniert auch bei bedeckten Tagen. Fehlt diese Information, können ersatzweise "soziale Zeitgeber" wie Arbeitszeiten, gemeinsame Mahlzeiten oder ähnliches zum Tragen kommen, heißt es in einer Pressemitteilung der DGSM.
Jahreszeitlich bedingt schwanken die Tageslichtstunden um drei Stunden
Fehlen äußere Zeitgeber, ist seit den 1960-ger Jahren bekannt, dass sich bei den meisten Personen ein Rhythmus einstellt, der länger als 24 Stunden ist. Die Anpassung der inneren zirkadianen Rhythmik an die lokale Sonnenzeit ist so spezifisch, dass die Schlaf-Wach-Rhythmik sogar den circa 90-minütigen Ost-West-Unterschied beim Sonnenaufgang innerhalb einer Zeitzone - zum Beispiel am 21. März 2018 in Warschau um 5:37 Uhr und in Paris um 6:52 Uhr - widerspiegelt.
Gleichzeitig besteht eine jahreszeitliche Varianz von mehreren Stunden: So lag beispielsweise in Frankfurt/Main der Sonnenauf- und -untergang am 21. Dezember 2017 um 8.42 und 16.55 Uhr, am 21. Juni dagegen um 5.48 und 21.56 Uhr. Das heißt, es besteht eine jahreszeitliche Varianz von Sonnenauf- und -untergang von durchschnittlich drei Stunden. Diese wird durch die Sommerzeit auf vier Stunden verlängert.
Schlafmitte durch höchsten Melatonin-Spiegel gekennzeichnet
2007 wurde bei 55.000 Personen gezeigt, dass die Uhrzeiten von Schlaf und Aktivität an arbeitsfreien Tagen der jahreszeitlichen Variation der Sonnenaufgangszeiten folgen - aber nur in der Winterzeit. Die Anpassung der zirkadianen Rhythmen erfolgt durch den Blauanteil des Sonnenlichts. Dabei spielt der Zeitpunkt des Lichts im Verhältnis zum Zeitpunkt der Schlafmitte eine entscheidende Rolle.
Der Zeitpunkt der Schlafmitte geht normalerweise mit dem zirkadianen Maximum der Melatonin-Ausschüttung und dem zirkadianen Minimum der Körperkerntemperatur einher. Je zeitlich näher vor diesem Zeitpunkt blauhaltiges Licht gegeben wird, um mehr verschiebt sich der Schlaf-Wach-Rhythmus in den Tag hinein. Und je zeitlich näher nach der Schlafmitte eine Lichtgabe erfolgt, umso mehr verschiebt sich der Rhythmus in den Abend hinein.
Hauptzeitgeber ist das Tageslicht
Viele Personen kennen dieses Phänomen als Jet-Lag nach Zeitzonenflügen. Anders als beim Jet-Lag verändern sich durch die Umstellung auf die Sommer- beziehungsweise Winterzeit aber nur die sozialen Zeitgeber (Uhrzeit, Arbeitsbeginn), nicht aber der Hauptzeitgeber Tageslicht, da der Hell-Dunkel-Wechsel Uhrzeit-unabhängig unverändert bleibt.
Das heißt der Sonnenaufgang findet zum Beispiel in Frankfurt nicht mehr um 6.15 Uhr statt, sondern plötzlich um 7.15 Uhr, während die arbeitsbedingte Aufstehzeit unverändert bei beispielsweise um 6.30 Uhr verbleibt. Damit verlängert sich die Zeitspanne zwischen Schlafmitte und Sonnenaufgang abrupt um eine Stunde und es entsteht letztlich ein Lichtsignal wie Ende Februar.
Je später der Sonnenaufgang desto höher der Cortisol-Spiegel
Dabei ist auch von Bedeutung, dass jede Stunde späterer Sonnenaufgang einem knapp 5-prozentigen Anstieg des Stresshormons Cortisol entspricht und das Lichtsignal zu spät im Vergleich zur Schlafmitte kommt und damit die Anpassungskapazität an den äußeren Hell-Dunkel-Wechsel zu gering ist, um den intrinsischen Rhythmus auf 24-Stunden zu verkürzen.
Gleichzeitig verschiebt sich durch die Zeitumstellung der Sonnenuntergang auf 19.45 Uhr (statt 18.45 Uhr), was wiederum einem Zeitsignal (ohne Zeitverschiebung) von Ende April entspricht. Damit werden dem zirkadianen System gleich zwei Zeitsignale geboten, die beide ein Zeitsignal für eine Verzögerung der zirkadianen Rhythmik darstellen. Dder spätere Sonnenaufgang ist zeitlich weiter von der Schlafmitte entfernt, der spätere Sonnenuntergang ist näher an der Schlafmitte.
Schlafmangel durch Zeitumstellung
Es entsteht damit eine Situation, die der von Patienten mit chronischen Schlaf-Wach-Rhythmus-Störungen, Typ verzögerte Schlafphase, oder von Werktätigen mit kontinuierlicher Frühschicht entspricht, wenn diese dauerhaft ihrem intrinsischen Rhythmus nicht folgen können. Diese Situation entschärft sich erst dann, wenn die Sonnenaufgangszeiten wieder mit den morgendlichen Aufstehzeiten übereinstimmen, das heißt erst circa vier Wochen nach der Zeitumstellung. Frühaufsteher scheinen eher von der Zeitverschiebung im Herbst betroffen zu sein und Spätaufsteher eher von der im Frühjahr.
Mit der Umstellung auf die Sommerzeit geht ein Schlafmangel einher, der wegen der üblicherweise sowieso späteren Bettzeiten an den Wochenenden und der fehlenden Notwendigkeit eines frühen Aufstehens an Sonntagen meist erst in der Nacht von Sonntag auf Montag richtig zum Tragen kommt. Dies gilt umso mehr, da die meisten Werktätigen über die Woche ein Schlafdefizit von mehreren Stunden akkumulieren und dieses an Wochenenden kompensieren.
Schlafforscher raten, die Sommerzeit wieder abzuschaffen
Durch ebendieses spätere Aufstehen an Wochenenden kommt es aufgrund des geringeren Schlafdrucks am Sonntagabend in den Nächten von Sonntag auf Montag gehäuft zu Einschlafstörungen und zu einem erneuten Schlafmangel. Schlafmangel führt zu Konzentrations- und Leistungseinbußen, einer erhöhten Fehlerrate und Unfällen. Seit langem ist bekannt, dass Schläfrigkeit die häufigste Einzelursache von Verkehrsunfällen ist, auch wenn die Zeitumstellung nach neuesten Erkenntnissen nicht eindeutig zu vermehrten Verkehrunfällen führen.
Die Umstellung auf die Sommerzeit verstärkt den Schlafmangel um eine weitere Stunde, während bei der Umstellung auf Normalzeit bereits die Nacht von Samstag auf Sonntag hilft das wöchentliche Schlafdefizit zu kompensieren. Insbesondere bei Jugendlichen kommt es in fünf Schultagen nach der Zeitumstellung zu einem kumulierten Schlafdefizit von circa 2,75 Stunden. Fazit: Die Schlafforscher der DGSM plädieren für die Abschaffung der Sommerzeit und die konstante Beibehaltung der Normalzeit (Winterzeit).
Umfrage läuft bis 16. August 2018
Die EU-Umfrage läuft noch bis zum 16. August 2018 unter ec.europa.eu/eusurvey/runner/2018-summertime-arrangements. Auf Grundlage der Ergebnisse würde die EU-Kommission dann einen Vorschlag zur Abschaffung der Zeitumstellung machen - oder auch nicht. Die jetzige Sommerzeit wurde 1980 eingeführt, um Energie zu sparen. Seit 1996 wird sie europaweit koordiniert. Die Uhren werden dabei immer am letzten Sonntag im März vor und am letzten Sonntag im Oktober wieder zurückgestellt.
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