Samen- und Eizelle treffen sich: Warum es oft nichts wird

Dass Menschen Kinder kriegen können, ist nicht nur ein Glücksfall – sondern offenbar häufig oft auch ein Glücks-SPIEL. Eine Studie des MPI zeigt: Wenn sich Ei- und Samenzelle vereinigen, passieren häufig Fehler. – Foto: AdobeStock/Michael
In der Theorie entstehen Menschen so: 23 Chromosomen erhält ein werdendes Kind aus der Eizelle der Mutter, 23 aus der Samenzelle des Vaters. Dringt die kaulquappenähnliche Samenzelle durch die Zellwand in die Eizelle der Mutter ein, kommt es zur Befruchtung. Innerhalb der Eizelle liegen die elterlichen Erbinformationen aber trotzdem weiter in zwei getrennten Zellkernen vor, den „Vorkernen“. Geht alles gut, bewegen sich diese beiden kugelförmigen Körperchen langsam aufeinander zu, berühren sich, werfen ihre Hülle ab – die elterlichen Chromosomen vereinigen sich. 23 + 23 = 46: Die Schwangerschaft kann beginnen.
Ein Hauptgrund für Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit
Die Praxis sieht aber häufig anders aus. „Die überwiegende Zahl menschlicher Embryonen erhält eine falsche Zahl an Chromosomen“, heißt es in einer Mitteilung der Forschenden des Göttinger Max-Plack-Instituts (MPI), die jetzt die Entstehung des Lebens untersucht haben. „Diese Embryonen sind meistens nicht überlebensfähig. Damit ist eine fehlerhafte Chromosomenverteilung ein Hauptgrund für Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit.“
20 Prozent der Embryonen: Zu viele oder zu wenige Chromosomen
Schwangerschaft, Fehlgeburt, Unfruchtbarkeit: Bei 10 bis 20 Prozent der Embryonen scheitert eine erfolgreiche Entwicklung zu einem Kind von vornherein daran, dass die mütterliche Eizelle zu wenige Chromosomen mitbringt oder zu viele. Das ist bekannt. „Wieso aber tritt das Problem bei noch viel mehr Embryonen auf?“, fragten sich die Forschenden des Max-Planck-Instituts für biophysikalische Chemie um Direktorin Melina Schuh. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen des Friedrich-Loeffler-Instituts in Greifswald (Bundesforschungsinstitut für Tiergesundheit) und des Instituts für Nutztiergenetik in Mariensee gingen sie der Frage auf den Grund.
Mikroskopie-Videos von Zellen frisch gezeugter Kinder
Für ihre Untersuchungen werteten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zum einen Mikroskopie-Videos menschlicher Zygoten aus, die ein Labor in England aufgenommen hatte. (Eine Zygote ist die Zelle, in der die Zellkerne von weiblichen und männlichen Geschlechtszellen miteinander verschmolzen sind – der Beginn des Lebens.) Zum anderen machten sie sich auf die Suche nach einem neuen Modellorganismus, mit dem sich die frühe Embryonalentwicklung detailliert untersuchen lässt.
Rinder-Embryonen als Untersuchungsmodell
„Wir haben gemeinsam mit unseren Kooperationspartnern am Institut für Nutztiergenetik ein System in Rinder-Embryonen entwickelt, da deren frühe Entwicklung der menschlichen stark ähnelt“, erläutert Tommaso Cavazza vom Team des MPI. „Der zeitliche Ablauf der ersten Zellteilungen ist beispielsweise vergleichbar, außerdem verteilen sich Chromosomen in Rinder-Embryonen etwa ebenso häufig fehlerhaft wie in menschlichen Embryonen.“
Die Forschenden aus Göttingen befruchteten die Rinder-Eizellen im Reagenzglas und verfolgten anschließend mittels Lebend-Zell-Mikroskopie, wie sich das elterliche Erbgut vereint. Wie sie herausfanden, versammeln sich die elterlichen Chromosomen an der Grenzfläche der beiden Vorkerne. Bei manchen Zygoten beobachteten die Forschenden allerdings, dass einzelne Chromosomen aus der Reihe tanzten. Sie gingen damit bei der Vereinigung des Erbguts verloren, die entsprechenden Zygoten zeigten bald Entwicklungsdefekte.
Chromosomen müssen sich richtig sortieren
Dieses Zygoten-Stadium, das direkt nach der Vereinigung von Spermium und Eizelle beginnt, ist nach Erkenntnis der MPI-Forschenden eine „extrem kritische Phase“ bei der Entstehung oder Nicht-Entstehung menschlichen Lebens. Die Chromosomen müssen sich vor der Verschmelzung an der Vorkern-Grenzfläche ordnungsgemäß versammeln. scheint ein extrem wichtiger Schritt zu sein“, erklärt Molekular-Biotechnologe Cavazza. „Denn wenn es nicht klappt, passieren in der Zygote folgenschwere Fehler.“ Diese Vorgänge liefen aber häufig fehlerhaft ab. Dass sich überhaupt gesunde Embryos entwickeln könnten, sei ein kleines Wunder, sagt Cavazza. Die Entstehung menschlichen Lebens hänge „von einem bemerkenswert ineffizienten Prozess ab“.
Studie: Für künstliche Befruchtung relevant
Die Ergebnisse der Studie sind nach Einschätzung des MPI auch für die künstliche Befruchtung relevant. Hier diskutiert man schon länger, ob die Ansammlung der sogenannten Kernkörperchen an der Vorkern-Grenzfläche als Indikator für die Chance auf eine erfolgreiche Befruchtung nutzen sollte. Zygoten, bei denen sich diese Bestandteile der Vorkerne allesamt an der Grenzfläche sammeln, haben bessere Entwicklungschancen und könnten bevorzugt für eine Kinderwunschbehandlung verwendet werden. Die jetzt vorgelegte Expertise stützt dieses Auswahlkriterium.