Operation bei Epilepsie früher prüfen?

Bei einem epileptischen Anfall spricht man auch vom „Gewitter im Kopf“: Große Partien der Nervenzellen sind übererregt und entladen sich gleichzeitig – Foto: ©Kateryna_Kon - stock.adobe.com
Zwischen 500.000 und 650.000 Menschen in Deutschland leiden unter Epilepsie. Rund 70 Prozent von ihnen können dank moderner Antikonvulsiva anfallsfrei leben. „Das bedeutet aber auch, dass bei fast jedem dritten Betroffenen die medikamentöse Therapie allein nicht ausreicht“, sagt Professor Felix Rosenow, Leiter des Epilepsiezentrums Frankfurt Rhein-Main der Goethe Universität Frankfurt/Main und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung e.V. (DGKN). Für diese Patienten stelle die operative Entfernung des Epilepsieherdes eine wichtige Behandlungsmöglichkeit dar.
Dennoch wird eine Operation bei Epilepsie noch immer zu selten oder zu spät genutzt, kritisiert die DGKN. Durch das Zögern gehe gerade für junge Menschen in ihrer Entwicklung viel wertvolle Zeit verloren.
Antikonvulsiva haben häufig starke Nebenwirkungen
Eine Epilepsie entsteht häufig bereits in der Kindheit. Und gerade in jungen Jahren kann die Erkrankung die Entwicklung beeinträchtigen und berufliche sowie soziale Möglichkeiten stark einschränken. Der DGKN zufolge könnten durch eine Operation rund zwei Drittel der jugendlichen Patienten dauerhaft anfallsfrei werden, bei Erwachsenen immerhin noch 58 Prozent.
Zudem haben die meisten postoperativ nicht anfallsfreien Patienten deutlich weniger Anfälle als vor der OP. Auch Patienten, bei denen die Antikonvulsiva zwar Anfälle verhindern, aber starke Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Schwindel, Doppelbilder und Kopfschmerzen verursachen, können unter Umständen von einer Operation profitieren.
Epilepsie-Operationen in Deutschland höchst selten
Für welche Patienten ein chirurgischer Eingriff infrage kommt, welche Erfolgsaussichten bestehen und mit welchen Funktionsausfällen auf der anderen Seite zu rechnen ist: Solche Fragen können heute bereits im Vorfeld der Operation recht präzise geklärt werden. Doch Teile der spezialisierten präoperative Diagnostik wie die MEG und EEG-Quellenlokalisation können bislang nicht mit den Krankenkassen abgerechnet und nur im Rahmen von Forschungen eingesetzt werden.
„Dadurch gibt es kaum klinische Anwendung, das verhindert Ausbreitung dieser Methoden“, so Rosenow. Dieser Mangel trägt womöglich dazu bei, dass in Deutschland pro Jahr nur rund 500 Epilepsie-Operationen vorgenommen werden – obwohl Experten davon ausgehen, dass der Eingriff mehreren zehntausend Patienten Erleichterung bringen könnte.
Chirurgischer Eingriff hat auch Risiken
Die Entscheidung für oder gegen eine chirurgische Intervention liegt immer beim Patienten selbst, betont Rosenow. Denn eine Operation bringt auch Risiken mit sich. So berichtet Rosenow von einem kleinen Mädchen, deren Epilepsie sich durch Handzuckungen bemerkbar machte, darüber hinaus aber auch die Gehirnentwicklung erheblich beeinträchtigte. „Durch die Entfernung des Anfallsherdes konnte das Gehirn des Mädchens sich wieder normal entwickeln. Der Preis hierfür war jedoch eine dauerhafte Lähmung der betroffenen Hand“, so der Experte.
Solche neurologischen Defizite seien in manchen Fällen unvermeidbar, könnten aber heute auf ein Minimum begrenzt werden. Denn in vielen Fällen kann der Anfallsherd inzwischen mikrochirurgisch oder gar minimal invasiv durch kleine Bohrlöcher entfernt werden, ohne dass der Schädel großflächig eröffnet werden muss.
Operation früher prüfen?
Dennoch betrachten nicht nur Patienten, sondern auch viele Ärzte die Operation noch immer als Mittel der letzten Wahl bei Epilepsie. „Im Durchschnitt werden Patienten 16 Jahre lang medikamentös therapiert, bevor die Überweisung an ein Zentrum mit epilepsiechirurgischer Expertise erfolgt“, erklärt Rosenow. In der Zwischenzeit verlieren manche Betroffenen aufgrund der Anfälle ihre Arbeit, ihren Führerschein oder ihre Lebenspartner. Der Frankfurter Neurologe plädiert daher dafür, die chirurgische Option wesentlich früher als bisher zu prüfen – spätestens dann, wenn auch das zweite antiepileptische Medikament keine Anfallsfreiheit bringt.