NAM bei Lippen-Kiefer-Gaumenspalte: Es fehlen ausreichend Studien

Etwa eins von 500 Neugeborenen weltweit wird mit einer Lippen-Kiefer-Gaumenspalte geboren
Die Lippen-Kiefer-Gaumenspalte ist eine der häufigsten angeborenen Fehlbildungen. Etwa eins von 500 Neugeborenen weltweit wird damit geboren. Bei den Betroffenen sind Oberlippe, Oberkiefer und Gaumen teilweise oder komplett von einem Spalt durchzogen. Die Ursachen sind noch nicht genau geklärt, doch es scheinen mehrere Faktoren eine Rolle zu spielen. Die Behandlung ist langwierig und besteht meist in einer Abfolge verschiedener Operationen, die sich über Jahre hinziehen können.
NAM könnte Operationsergebnisse verbessern
Seit einiger Zeit gibt es nun Hinweise, dass die Ergebnisse der chirurgischen Eingriffe besser ausfallen, wenn vor der ersten Operation die Nasoalveolar-Molding-Methode (NAM) angewendet wird. Dafür werden sehr früh nach der Geburt Abformungen des Oberkiefers und der Nase aus weichem Silikonmaterial angefertigt. Danach wird eine Gaumenplatte individuell angefertigt, um den Spalt mittels Druck- und Zugkräften zu verkleinern. Mit weiteren Hilfsmitteln wie Klebestreifen oder einem Nasensteg soll die Deformation der Lippe und der Nase weiter reduziert werden. Die Methode des Nasoalveolar-Molding wird bisher nur an wenigen Zentren der Welt angewendet; die Erfolgsrate ist bisher unklar.
Eine Arbeitsgruppe der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) hat nun im Auftrag des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) untersucht, ob die Behandlungsergebnisse besser oder schlechter ausfallen, wenn vor der ersten Operation die Nasoalveolar-Molding-Methode angewendet wird. Das ernüchternde Ergebnis: Bisher gibt es keine klinischen Studien, die belastbare Aussagen zu Nutzen und Schaden der NAM zulassen.
Qualitativ hochwertige Studien zu NAM fehlen
Den Forschern zufolge fehlen bisher Studien mit hoher Aussagesicherheit, also randomisierte kontrollierte Vergleiche zwischen einer Behandlung mit NAM und ohne NAM. Was die Arbeitsgruppe der MHH fand, sind vier Studien mit jeweils einer Kontrollgruppe. In diesen wurde aber nicht berücksichtigt, dass sich die Kinder mit NAM- und jene ohne NAM-Behandlung unterschieden - etwa in Hinblick auf das Alter bei der ersten Operation (bzw. zu Beginn der Intervention) oder bezüglich der Ausprägung der Spaltbildung. Das könnte die Behandlungsergebnisse beeinflusst haben.
Zudem, so die Autoren der Stellungnahme, berücksichtigten diese Studien ausschließlich Parameter zur Gesichtsästhetik, darunter die Symmetrie des Gesichts. Wichtige andere Aspekte wurden nicht erhoben. Für Schmerzen gilt das ebenso wie für die Funktionen des Sprechens, der Atmung, der Gehör oder die soziale und emotionale Entwicklung. Untersuchungen, welche die Patienten über einen längeren Zeitraum vergleichen, gibt es ebenfalls nicht.
Es besteht weiterer Forschungsbedarf
Die Arbeitsgruppe der MHH konstatiert in ihrem Berichtsentwurf erheblichen Forschungsbedarf und fordert Studien mit hoher Aussagesicherheit. „Es ist bedenklich, dass eine Intervention, die die Situation von Kindern mit einer häufigen angeborenen Fehlbildung verbessern soll, nicht ausreichend in Studien geprüft wurde“, kommentiert IQWiG-Projektleiterin Sarah Thys den Befund der MHH-Autorengruppe.
Stellungnahmen zum Entwurf dieses HTA-Berichts im Rahmen von ThemenCheck Medizin sind bis zum 25. März möglich. Diese werden gesichtet und gegebenenfalls in einer mündlichen Anhörung mit den Stellungnehmenden diskutiert. Danach wird der Basisbericht finalisiert. Alle Dokumente werden veröffentlicht sowie an den Gemeinsamen Bundesausschuss und das Bundesgesundheitsministerium übermittelt.
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