Nachhaltige demografische Entwicklung: Ökologie, Ökonomie und Soziales gehören zusammen

Umweltexperte Klaus Töpfer auf dem Demografiekongress 2021: Fortschritt bedeutet, Fehler zu korrigieren
Was passiert, wenn Menschen und Wildtiere aufgrund von Waldrodungen, Fleischproduktion und Ausbeutung der Natur immer näher zusammenrücken, erleben wir seit eineinhalb Jahren hautnah: Ein Virus ist vom Tier auf den Menschen übergesprungen und hat eine Pandemie ausgelöst, die bislang mehr als 4,5 Millionen Menschen das Leben gekostet hat.
Doch die weltweite Corona-Krise ist nur eine von vielen Krisen, mit denen die Menschheit aktuell konfrontiert ist. Die Weltbevölkerung ist seit 1950 von 2,5 Milliarden auf heute fast 8 Milliarden Menschen angestiegen und damit der Ressourcenverbrauch und der Hunger auf der Welt. Gleichzeitig steigt in westlichen Industrienationen wie Deutschland der Anteil der über 80-jährigen, während die Zahl der erwerbstätigen Fachkräfte sinkt.
Über all dem schwebt der Klimawandel, der sich jetzt auch vor unserer Haustür bemerkbar macht: 48 Grad wurden im Sommer in Sizilien gemessen, dazu verheerende Waldbrände im Mittelmeerraum und Flutkatastrophen in mehreren deutschen Bundesländern mit etlichen Todesopfern. Obendrein zeigt die anhaltende Migrationsbewegung, dass die Welt aus den Fugen geraten ist.
One-Health-Ansatz unabdingbar
Der Demografiekongress setzt dieses Jahr darum seinen Schwerpunkt auf Demografie und Nachhaltigkeit. Dass beides untrennbar zusammenhängt, machte Kongresspräsident Ulf Fink gleich bei der Eröffnungsveranstaltung deutlich. Nachhaltigkeit, so Fink, sei Voraussetzung für eine gute demografische Entwicklung. Denn: „Gesunde Menschen gibt es nur in einer gesunden Umwelt“ sagte er. „Wir brauchen einen neuen Dreiklang aus Gesundheit der Menschen, der Tiere und intakter Umwelt.“ Nur eine konsequente Umsetzung dieses One-Health-Ansatzes könne die Gefahren aus globalen Gesundheitskrisen verhindern.
Einer, der seit Jahren für „One-Health“ kämpft, ist Detlev Ganten, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Charité und Gründer des World-Heath-Summit. Er vermag zwar die Mächtigen der Welt an einen Tisch zu bringen. Doch bis auf einzelne sehr engagierte Personen und Organisationen sei die internationale Zusammenarbeit insgesamt eine Katastrophe. „Am Ende überwiegt der Egoismus, der Nationalismus und der politische Opportunismus“, sagte Ganten.
Versäumnisse sieht der Mediziner gleichfalls bei der Pandemie-Prävention, und zwar weltweit. Obwohl es ausgearbeitete Pandemiepläne gegeben habe, seien die „in den Schubladen verschwunden“, kritisierte Ganten. Dass die WHO nun ein Pandemie-Frühwarnsystem etablieren will und das auch noch in Berlin, sei gut und folgerichtig. „Das wird uns wesentlich voranbringen.“
Klimawandel ist eine globale Angelegenheit
Auf eine bessere internationale Zusammenarbeit setzt auch Klaus Töpfer, ehemaliger Bundesumweltminister und Gründungsdirektor des Instituts für transformative Nachhaltigkeitsforschung in Potsdam. Deutschland wird seiner Ansicht nach durchaus in der Lage sein, die CO2-Emissionen mit Hilfe von innovativen Technologien wie Solar- und Windenergie, Climate-Engineering oder der Umwandlung von Biomasse in Wasserstoff drastisch zu reduzieren. Aber weltweit ist er vorsichtig. „Da sind nicht nur wir, das ist eine globale Angelegenheit“, sagte er.
Daten der internationalen Energieagentur zeigen: Die weltweite Stromnachfrage liegt aktuell fünf Prozent über dem Niveau vor Corona. Der Anstieg ist zu 90 Prozent auf China zurückzuführen, das den Strombedarf zu zwei Dritteln über Kohlestrom abdeckt.
Dabei ist China extrem vom Klimawandel betroffen. Genauso Afrika. Der Kontinent könne aber trotz seiner Bodenschätze wie Kohle und Gas von erneuerbaren Technologien, die in Deutschland entwickelt wurden, profitieren, meinte Töpfer, der von 1998 bis 2006 Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen in Nairobi war. „Wir können das anbieten und das sollten wir auch.“
Hoffnung für Afrika?
Afrika ist unterdessen die Region der Welt, wo die Bevölkerung am schnellsten wächst. Heute leben rund 1,3 Milliarden Menschen auf dem Kontinent, Prognosen gehen von einer knappen Verdopplung bis 2050 aus. Diese Menschen brauchen Arbeitsplätze und müssen ernährt werden. Hinzukommen eine steigende Lebenserwartung und der Klimawandel, der den Menschen Lebensraum und bewirtschaftbaren Boden raubt. „Ökologie, Ökonomie und Soziales gehören zusammen“, machte Töpfer in seinem Impulsvortrag deutlich. Das sei die „Trias der Nachhaltigkeit.“
Ob man sich nicht mehr mit dem Thema Geburtenkontrolle in den Ländern des globalen Südens beschäftigen müsse, wollte Moderator Franz Dormann von Rita Süssmuth wissen. Die ehemalige Bundestagspräsidentin und CDU-Politikern sieht hier vor allem internationale Organisationen in der Pflicht. So müssten etwa die Vereinten Nationen viel stärker mit Organisationen für Sexuelle und reproduktive Gesundheit (SRG) zusammenarbeiten als bisher. „Darin liegt meine größte Hoffnung für Afrika“, sagte Süssmuth. Da Nachhaltigkeit ein sehr breites und ressortübergreifendes Thema ist, forderte sie außerdem eine interdisziplinäre Zusammensetzung der Ausschüsse des Deutschen Bundestags. „Das müssen wir in der neuen Legislaturperiode unbedingt verändern.“
Marktentwicklung mit harter Gesetzgebung
Marlehn Thieme, Präsidentin der Deutschen Welthungerhilfe, sitzt im Rat für Nachhaltigkeit der Bundesregierung. Gerade hat der Rat 20 Kriterien für nachhaltiges Wirtschaften erarbeitet. Die Ziele des Programms fasste Thieme so zusammen: Marktentwicklung mit harter Gesetzgebung und staatlichen Vorgaben – so wie in der sozialen Marktwirtschaft. Zur Umsetzung sagte sie: „Ich mahne zur Eile.“
Inwieweit auch der Gesundheitssektor etwa in die geplante CO2-Bepreisung einbezogen werden soll, sagte Thieme nicht. Diese Frage ist aber relevant, da Leistungsanbieter die Kostensteigerungen nicht einfach über Preiserhöhungen wieder hereinholen können. „Die Sozialbranche steht seit Jahren unter einem hohen Kostendruck“, gab Karsten Honsel, Hauptgeschäftsführer der Alexianer GmbH, zu bedenken. Steigende Energiepreise spielten dabei eine wesentliche Rolle.
Nach seiner Auskunft hat sich die Alexianer Klinikgruppe schon seit längerem auf nachhaltiges Wirtschaften eingestellt, betreibt eigene Blockkraftwerke, ersetzt Einweg zunehmend durch Mehrwegprodukte und so weiter. Das Bündel an praktischen Maßnahmen sei bisher immer mit ökonomischen Einsparungen verbunden gewesen. „Jetzt sind wir an einem Punkt, wo Nachhaltigkeit immer mehr zur strategischen Ausrichtung wird“, sagte Honsel. Warum? „Nachhaltigkeit ist auch im Kampf um neue Arbeitskräfte inzwischen ein wichtiges Thema geworden.“
Gerhard Schick hat 20 Jahre lang für das Bündnis90/ Die Grünen Klimapolitik gemacht und klingt ernüchtert: „Wir sind gescheitert“, resümierte er. Heute leitet er die Bürgerbewegung Finanzenwende, „weil die Finanzmärkte extrem instabil sind und laufend neue Krisen produzieren.“ Zudem würde das Finanzsystem von anderen Krisen mitgerissen, sagte Schick „so wie zu Beginn Corona-Pandemie.“
Krisen sind die neue Normalität
Banken würden aber immer staatlich gerettet – bis zur nächsten Pleite. „Nur beim Klima können wir uns keinen zweiten Crash erlauben“, mahnte Schick. Er glaubt, dass Krisen zur neuen Normalität gehören und die eine beginnt, wenn die andere noch nicht zu Ende ist. Ein Blick auf die letzten 16 Jahre untermauert die Prognose: Merkels Amtszeit ist zu 50 Prozent reines Krisenmanagement gewesen (Finanzkrise, Migrationskrise, Coronakrise). „Nur: auf Krisenpolitik ist niemand vorbereitet“, kritisierte Schick. „Da wurden Dinge entschieden, die der Bundestag nicht wollte.“
Bei allen gewaltigen Problemen und düsteren Aussichten: Krisen bieten auch die Chance, aus ihnen zu lernen und sich besser auf die nächste vorzubereiten. „Wir alle sitzen hier, weil wir etwas verändern wollen“, sagte Detlev Ganten in seinem Schlusswort, und er zitierte den Philosophen Karl Popper mit den Worten: „Wir haben die Pflicht zum Optimismus.“