Multiple Sklerose mit Zucker behandeln?

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Forschende der Charité - Universitätsmedizin Berlin und des Max-Delbrück-Centrums für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft sind mit einem Team aus den USA und Kanada auf ein Zuckermolekül gestoßen, dessen Konzentration im Blut von Patienten mit besonders schwerer Multipler Sklerose verringert ist.
Wie sie im Fachblatt JAMA Neurology berichten, könnte diese Entdeckung eine neue Therapieoption eröffnen. Ließe sich MS mit Zucker behandeln? Multiple Sklerose äußert sich bei jedem Menschen etwas anders, heißt es weiter in einer Pressemitteilung. Besonders schwer haben es Patienten, die an der chronisch fortschreitenden Verlaufsform erkrankt sind.
Fehlgesteuertes Immunsystem greift Myelinschicht an
Anders als bei der häufigeren schubförmigen Variante, bei der die Betroffenen oft monate- oder gar jahrelang beschwerdefrei sind, verschlechtert sich der Zustand der Patienten bei der als progredient bezeichneten Form der MS kontinuierlich.
Bisherige Therapieansätze gehen davon aus, dass ein fehlgesteuertes Immunsystem die Myelinschicht der Nervenzellen angreift. Dabei handelt es sich um eine isolierende Schutzhülle, die die langen Ausläufer der Zellen, die Axone, umgibt
Einfachzucker könnte Rolle bei schwerer MS spielen
"Bei der progredienten MS kommt es zu vermehrten neurodegenerativen Prozessen. Dadurch sterben immer mehr Nervenzellen im Gehirn und im Rückenmark ab", erläutert Dr. Alexander Brandt, Erstautor der Studie. "Die genauen Ursachen für diese Variante der Erkrankung sind noch unbekannt."
Er und sein Team hoffen, nun etwas Licht ins Dunkel gebracht zu haben. Der Einfachzucker N-Acetylglucosamin, GlcNAc genannt, könnte dabei eine wichtige Rolle spielen. Im Organismus ist GlcNAc mit anderen Zuckermolekülen kettenartig an Proteine auf der Zelloberfläche gebunden.
Geringere Konzentration im Blutserum
"Wir haben 120 Probanden untersucht und konnten zeigen, dass bei dieser besonders schweren Form der Erkrankung deutlich geringere Konzentrationen an N-Acetylglucosamin im Blutserum vorliegen als bei gesunden Menschen oder Patienten mit schubförmiger MS", sagt Dr. Brandt.
"In einer weiteren Untersuchung von 180 Patienten mit schubförmiger oder progredienter MS haben wir festgestellt, dass niedrige Serumspiegel von GlcNAc mit einem progressiven Krankheitsverlauf, klinischer Behinderung und Neurodegeneration assoziiert sind", ergänzt Prof. Michael Demetriou von der University of California in Irvine.
Multiple Sklerose mit Zucker behandeln?
"Dies eröffnet neue potenzielle Wege, um Erkrankte mit einem erhöhten Risiko für einen progredienten Verlauf frühzeitig zu identifizieren und ihre Therapie entsprechend anzupassen", betont der US-Mediziner.
Die Forschenden hoffen, dass GlcNAc darüber hinaus einen neuen Therapie-Ansatz bieten könnte. "Unsere Hoffnung ist es, dass wir mit GlcNAc die Myelinreparatur fördern und so die Neurodegeneration verringern", sagt Dr. Brandt. Das heißt also, Multiple Sklerose ließe sich womöglich mit Zucker behandeln.
Sicherheit von GlcNAc an Probanden getestet
In einer noch unveröffentlichten Phase-I-Studie mit rund 30 Probanden haben die Wissenschaftler untersucht, ob eine Einnahme von GlcNAc in bestimmten Dosierungen sicher ist. Sollte sich dieses bestätigen, hofft das Forschungsteam, in weiteren Studien mögliche Effekte als MS-Therapie untersuchen zu können.