Mit dem stärksten Röntgenlicht der Welt auf der Suche nach Covid-19-Medikamenten

Suche nach Arzneistoffen, die gegen Covid-19 helfen könnten, im „Deutschen Elektronen-Synchrotron", einem Forschungszentrum für naturwissenschaftliche Grundlagenforschung in Hamburg. – Foto: DESY
Mit zwei Strategien lässt sich die Corona-19-Pandemie medizinisch in den Griff bekommen: Mit Impfstoffen – die gibt es jetzt. Und mit Medikamenten – die gibt es (noch) nicht. Weil die Entwicklung von Medikamenten viel Knowhow, Zeit und oft auch Glück benötigt, arbeiten Wissenschaftler seit einiger Zeit daran, bereits vorhandene – und für die Behandlung anderer Krankheiten zugelassene – Arzneiwirkstoffe daraufhin zu testen, ob sie nicht auch gegen Covid-19 helfen. Mithilfe des angeblich stärksten Röntgenlichts der Welt haben Wissenschaftler des DESY-Forschungszentrums in Hamburg jetzt aus rund 6.000 Arzneiwirkstoffen 37 herausgefiltert, von denen sieben im anschließenden Zellkulturversuch die Vermehrung des Coronavirus bremsen konnten.
Viren brauchen ein Körper-Protein für ihre Vermehrung
Im Gegensatz zu Impfstoffen, die gesunden Menschen helfen, sich gegen das Virus wehren zu können, werden in der Wirkstoffforschung Medikamente gesucht, die bei erkrankten Personen die Vermehrung des Virus im Körper bremsen oder zum Erliegen bringen. Viren können sich schließlich von alleine nicht vermehren. Sie schleusen ihr eigenes Erbgut in die Zellen ihres Wirts ein und bringen diese dazu, neue Viren herzustellen. Dabei spielen Proteine wie die Hauptprotease des Virus eine wichtige Rolle.
Eiweiß blockiert – Infektion besiegt
„Gelingt es, die Hauptprotease zu blockieren, lässt sich der Zyklus unter Umständen unterbrechen; das Virus kann sich nicht mehr vermehren, und die Infektion ist besiegt“, heißt es in einer Mitteilung des „Deutschen Elektronen-Synchrotron“ (DESY) in Hamburg.
Arzneimittelsuche per Röntgen-Screening
Das DESY zählt zu den weltweit führenden Teilchenbeschleuniger-Zentren und wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert. Die dort entwickelte Forschungslichtquelle „PETRA III“ ist auf strukturbiologische Untersuchungen spezialisiert. Das bedeutet für diesen Fall: Hier lässt sich die dreidimensionale räumliche Struktur von Proteinen atomgenau darstellen. Das nutzte das Team von über 100 Wissenschaftlern aus über zehn deutschen Universitäten, Instituten und Forschungsverbünden, um abzugleichen, ob knapp 6.000 Proben ausgewählter Arzneiwirkstoffe potenziell als Anti-Corona-Medikamente in Frage kommen. Diese Stoffe hatten sich die Forscher in „Wirkstoffbibliotheken“ in Deutschland und Italien besorgt.
„Eine besondere Stärke unserer Methode des Röntgenscreenings im Vergleich zu anderen Screening-Methoden ist, dass wir als Ergebnis die dreidimensionale Struktur der Protein-Wirkstoff-Komplexe erhalten und damit die Bindung der Wirkstoffe an das Protein auf atomarer Ebene bestimmen können“, sagt Patrick Reinke, DESY-Forscher und Co-Autor der Studie.
Sieben antivirale Wirkstoffe – zwei stechen besonders hervor
„Mit Hilfe dieses Röntgen-Screenings haben wir insgesamt 37 Wirkstoffe finden können, die eine Bindung mit der Hauptprotease eingehen“, sagt Physiker Alke Meents, der die Experimente initiierte. In einem nächsten Schritt untersuchten die Forscher am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin, ob diese Wirkstoffe in Zellkulturen die Virusvermehrung hemmen oder gar verhindern, und wie verträglich sie für die Wirtszellen sind. Hierbei reduzierte sich die Zahl der geeigneten Wirkstoffe auf sieben, von denen zwei besonders hervorstachen: „Die Wirkstoffe Calpeptin und Pelitinib zeigten die deutlich höchste Antiviralität bei guter Zellverträglichkeit“, sagt Sebastian Günther, Erstautor der Studie. „Unsere Kooperationspartner haben daher bereits präklinische Untersuchungen mit diesen beiden Wirkstoffen begonnen.“
Sogar Aspirin oder Antidepressiva waren schon im Gespräch
Seit Beginn der Corona-Pandemie untersuchen Forscher vorhandene und für andere Krankheiten zugelassene Medikamente – in der Hoffnung, dass sie vielleicht auch gegen Covid-19 wirken. Prominentestes Beispiel dafür ist das Ebolafieber-Medikament Remdesivir, das sich nach bisherigen Erkenntnissen aber nicht als Wundermittel erwies und selbst von der Weltgesundheitsorganisation WHO in Frage gestellt wird. Im Gespräch waren aber auch Antidepressiva und sogar das Allround-Schmerzmittel Aspirin.