Männer und Frauen: Selbe Krankheit – andere Symptome

Männer und Frauen ticken medizinisch anders. Dieselbe Krankheit kann sich in anderen Symptomen äußern. Dasselbe Medikament kann unterschiedliche Wirkungen – oder Nebenwirkungen – haben. – Foto: AdobeStock/Production Perig
Der Beipackzettel von Medikamenten kennt bei Dosierung, Wirkung, Risiken und Nebenwirkungen: Alte und Junge, Allergiker und Alkoholkonsumenten, Schwangere und Auto Fahrende. „Frauen“ und „Männer“ kennt er nicht. Eine repräsentative Befragung im Auftrag der Krankenkasse „pronova BKK“ aber zeigt: In der Bevölkerung herrscht inzwischen offenbar ein starkes Bewusstsein dafür vor, dass Krankheiten und Medikamente nicht bei allen Menschen ähnlich aussehen oder wirken, sondern dass es auffällige Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt. „Geschlechterunterschiede in der Medizin – dieses Thema ist in der Mitte der Bevölkerung angekommen“, heißt es in einer Mitteilung der „pronova BKK“.
90 Prozent wissen: Krankheitsrisiken haben mit Geschlecht zu tun
Der Studie zufolge wissen neun von zehn Deutschen, dass Männer für bestimmte Erkrankungen ein anderes Risiko haben als Frauen. Mehr als acht von zehn Menschen sind zudem überzeugt, dass auch Krankheitssymptome geschlechterspezifisch sind. Gleichzeitig erhalten 67 Prozent der 1.000 Befragten von Ärzten keine Informationen über unterschiedliche Wirkungen von Medikamenten auf Frauen und Männer. Aus Sicht der Befragten wird dies weder in der Forschung noch im Arztgespräch ausreichend berücksichtigt. Mit einem Anteil von 88 Prozent glauben besonders viele Frauen, dass bei ihrem Geschlecht andere Symptome auftreten. Bei Männern sind dies immerhin 79 Prozent.
Krankheitssymptome: Beispiele für den Mann-Frau-Unterschied
„Die medizinische Forschung orientiert sich am männlichen Normkörper", kritisiert Sabine Oertelt-Prigione, Inhaberin von Deutschlands erster Professur für „geschlechtersensible Medizin". Dabei zeigten Frauen bei denselben Erkrankungen häufig andere Symptome als Männer. Beispiel Herzinfarkt: Der äußert sich bei Männern in Form der klassischen Symptome wie starke Brustschmerzen. Junge Frauen dagegen leiden in dieser Notfallsituation unter Übelkeit und Schwindel. Ein weiteres Beispiel ist die Lungenkrankheit Asthma: Jungen zeigen hier typischerweise Geräusche beim Atmen, Mädchen leiden oft unter trockenem Husten. „Bei der Diagnose von Erkrankungen, aber auch bei der Behandlung ist es wichtig, dass Ärztinnen und Ärzte geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigen“, sagt deshalb Professorin Oertelt-Prigione von der Universität Bielefeld.
Auch von Corona sind Männer und Frauen unterschiedlich betroffen
Analog zu den Krankheiten gibt es auch Unterschiede bei den Medikamenten, die diese Krankheiten bekämpfen oder heilen sollen. „Frauen leiden generell öfter unter Nebenwirkungen von Arzneimitteln. Gleichzeitig können Medikamente bei Frauen aufgrund von Körpergröße, Gewicht und Hormonen anders wirken als bei Männern", sagt Medizinerin Oertelt-Prigione. „Wir haben bei klinischen Studien zu Corona festgestellt, dass das Geschlecht kaum beachtet wurde, obwohl längst bekannt war, dass Männer und Frauen unterschiedlich betroffen sind - es hatte sich einfach so etabliert und war gesellschaftlich akzeptiert. Inzwischen sehen wir bereits einen Wandel bei der Auswahl der Probanden für Studien. Die geschlechterspezifische Analyse erfolgt aber weiterhin zu selten."
Arztgespräch: Zwei Drittel vermissen geschlechtsspezifische Informationen
Jeweils deutliche Mehrheiten wünschen sich – insbesondere bei Arztbesuchen – mehr konkrete Fakten zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei Krankheiten und Arzneimitteln. Im Gespräch mit Ärzten wird besonders von Frauen mangelnde Transparenz beklagt: Nur 26 Prozent sagen, ihr Arzt habe sie über die unterschiedlichen Wirkungen von Medikamenten aufgeklärt – im Unterschied zu 40 Prozent der Männer. Insgesamt haben zwei Drittel der befragten Frauen und Männer keine entsprechende Auskunft bei der ärztlichen Behandlung erhalten. 83 Prozent wünschen sich deutliche Hinweise von Medizinern, wenn noch unklar ist, ob Medikamente auf Männer und Frauen unterschiedlich wirken. Nur 33 Prozent sagen, ihr Arzt habe mit ihnen darüber gesprochen.
Pharmaindustrie sollte Packungsbeilagen um „Männer“ und „Frauen“ ergänzen
Nach Ansicht von 87 Prozent der Deutschen sollte auch die Pharmaindustrie ihre Packungsbeilagen anpassen und dort klar auf die Unterschiede bei der Verwendung durch Männer und Frauen hinweisen. 86 Prozent der Befragten sehen den Gesetzgeber in der Pflicht, klare Vorgaben zu einer geschlechterangepassten Gesundheitsversorgung zu machen.
Studie: Befragung von 1.000 Erwachsenen erst vor wenigen Tagen
Die Studie „Geschlechtersensible Medizin" wurde im Februar 2022 im Auftrag der „pronova BKK“ durchgeführt. Bundesweit wurden dafür 1.000 Erwachsene ab 18 Jahre repräsentativ online befragt. Die „pronova BKK“ ist aus Zusammenschlüssen der Betriebskrankenkassen verschiedener Weltkonzerne wie BASF, Bayer, Continental und Ford entstanden und versorgt bundesweit 650.000 Versicherte.