Long-Covid: Woher kommt die Erschöpfung?

Beim Erschöpfungssyndrom „Long-Covid“ können einfachste Alltagstätigkeiten zu mühevollen Kraftakten werden. – Foto: AdobeStock/Andrey Popov
Drei Jahre gibt es jetzt das Corona-Virus und die Infektionskrankheit Covid-19 – und noch immer arbeitet die Wissenschaft hart daran, Erreger und Krankheitsbild kennenzulernen und zu verstehen. Ein großes Rätsel rund um Covid-19 ist jener Teil der Krankheit, an dem viele leiden, nachdem die Infektion selbst längst überstanden ist: das Erschöpfungssyndrom namens „Long Covid“ oder „Post Covid“. Forscher der Universität Wien sind hier jetzt nach eigenen Angaben einen großen Schritt weitergekommen. Ein Team von Wissenschaftlern um den Chemiker Christopher Gerner konnte zeigen, „dass eine überschießende anti-entzündliche Reaktion für Long Covid verantwortlich sein dürfte“, heißt es in einer Mitteilung der Universität. Bisher ging oder geht die Forschung von einer Hauptursache aus, die nach dem Gegenteil klingt: einer Entzündungsreaktion mit dem Charakter einer Autoimmun-Erkrankung. Die Studie wurde in Fachjournal „iScience" veröffentlicht.
Neues Verfahren: Krankheitsprozesse kann man live mitverfolgen
Chemiker, Labordiagnostiker und Long-Covid-Mediziner von Universität Wien und MedUni Wien haben sich dem Long-Covid-Syndrom jetzt unter Anwendung eines besonderen technischen Verfahrens gewidmet: der „Massenspektrometrie-basierten postgenomischen Analyse“. Das klingt auf den ersten Blick recht kryptisch. Was dieses Verfahren aber leisten kann, ist: Krankheitsprozesse im Organismus können umfassend abgebildet und live verfolgt werden.
Long-Covid: Die These von der Autoimmunreaktion wackelt
Normalerweise kommt es bei der Infektion mit einem Virus im Körper zu einer sehr starken Aktivierung des Immunsystems. Bisher wurde deshalb angenommen, dass eine zentrale Ursache für Long-Covid eine Autoimmunreaktion des Körpers sein dürfte. Nur: Bei den für die gerade veröffentlichte Studie untersuchten Personen zeigte sich, dass Hinweise auf begleitende entzündliche Prozesse bei LCS regelrecht fehlten. Die Wiener Forscher stellten fest: Bei praktisch allen untersuchten Long Covid-Patienten waren entsprechende Marker wie Zytokine, Akutphase-Proteine und Eicosanoide, die auf eine Entzündung hinweisen, tatsächlich kaum auffindbar. „Alle wichtigen möglichen Marker für akute Entzündungsprozesse waren bei LCS-Patient*innen unter den Werten von gesunden Spender*innen oder erst gar nicht nachweisbar", sagt Studienautor Christopher Gerner, der auch Leiter der „Joint Metabolome Facility“ an der Universität Wien ist.
Als „erstaunlich“ werten die Wissenschaftler, dass bei symptomlosen Genesenen wenigstens ein Rest an Entzündungsreaktionen in der Tat nachweisbar war. Nur: Bei Genesenen mit Symptomen (sprich: bei Long-Covid-Patienten) eben gar nicht. Der Befund bildete also das Gegenteil des Erwarteten ab.
Viele Entzündungshemmer im Körper: Das kann müde machen
Die Forscher konnten entgegen bisheriger Erwartungen einige anti-entzündlich wirkende Proteine, Lipide und Metaboliten bei Long Covid-Patienten finden – als mögliche Mitverursacher der wichtigsten Long-Covid-Symptome. Außerdem konnten sie zeigen, dass die anti-entzündlichen Stoffwechsel-Wirkstoffe Taurin und Hypaphorin bei LCS-Patient stark erhöht waren. Von Hypaphorin ist bekannt, dass es in Tieren spontan Schlaf auslösen kann, was einen unmittelbaren Zusammenhang mit dem Erschöpfungssyndrom nahelegt.
Tiefer Blick in die Körperprozesse von Long-Covid-Patienten
Die durchgeführten Blutplasma-Analysen von LCS-Patienten erlaubten einen tiefen Blick in die physiologischen Prozesse der Patienten, heißt es in einer Mitteilung der Universität Wien. Im Falle der Patienten mit Long-Covid zeichnete sich in der Studie eine aktive Beteiligung sogenannter alternativ polarisierter Makrophagen ab. Den Begriff muss man sich nicht merken, was diese Zellen tun, dagegen schon: Sie bilden typischerweise nach allen Arten von Infektionen – und sind für die Koordination regenerativer Prozesse, also der Genesung, verantwortlich.
Long-Covid: Optimismus für Diagnostik und Behandlung
Was die Perspektiven für ein baldiges besseres Verständnis von Long-Covid und die Behandlungsmöglichkeiten angeht, zeigen sich die Wiener Forscher optimistisch. „Die Pathologie der LCS-Erkrankung kristallisiert sich immer deutlicher heraus, was natürlich eine völlig neue Einschätzung von Risikofaktoren und Therapie-Optionen ermöglicht", so die Studienautoren. Das Studienteam ist nach eigenen Angaben „zuversichtlich, in naher Zukunft deutlich verbesserte Diagnosemöglichkeiten für LCS und vor allem Monitoring-Verfahren zur Bewertung von Therapie-Effekten anbieten zu können“.