
DDR-Bürger haben heute eine längere Lebenserwartung. Der Trend begann schon vor der Wende
Blühende Landschaften wurden den DDR-Bürgern zu Wendezeiten versprochen. Und tatsächlich stieg mit der Wiedervereinigung die Lebenserwartung in Ostdeutschland merklich. Während etwa die Frauen in der DDR direkt vor der Wende 1990 im Durchschnitt noch drei Jahre kürzer lebten als im damaligen Westdeutschland, hat sich die Lebenserwartung inzwischen angeglichen. Dies wurde vor allem mit mehr (westdeutschem) Wohlstand und einer besseren Gesundheitsversorgung erklärt.
Nun gerät diese Theorie ins Wanken. Denn Forscher vom Max-Planck-Institut für demografische Forschung (MPIDR) in Rostock haben herausgefunden, dass die Lebenserwartung schon zu DDR-Zeiten stieg – der eigentliche Startpunkt also gar nicht die Wiedervereinigung war. Nach einer neuen Studie, die soeben im Wissenschaftsmagazin European Journal of Population veröffentlicht wurde, begann der Prozess schon zehn Jahre vor der Wende – noch während des DDR-Regimes. „Die deutsche Wiedervereinigung hat nicht per se den Aufholprozess der Lebenserwartung eingeleitet, sondern eher Trends verstärkt und beschleunigt, die schon in der DDR da waren“, sagt MPIDR-Forscher Pavel Grigoriev.
Kardiovaskuläre Revolution begann schon in der DDR
In der Studie schlüsselten die Wissenschaftler die Sterblichkeit nach den einzelnen Todesursachen auf. Bis in die 1960er konnte nachverfolgt werden, woran die Ostdeutschen starben. Dabei zeigte sich, dass Herz-Kreislauf-Krankheiten schon zu Beginn der 1980er Jahre stark rückläufig waren. Bislang war das nicht gesehen worden, weil der Blick zu sehr auf die Lebenserwartung an sich gerichtet war.
Das Risiko, in Ostdeutschland an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben fiel demnach zwischen 1980 und 1990 – dem Jahr der Wiedervereinigung um 16 Prozent. In den Jahren zuvor war der Wert dagegen fast konstant geblieben. „Wir sehen dies als erstes Anzeichen der so genannten ‚kardiovaskulären Revolution’, und damit als Startpunkt für den beschleunigten Anstieg der Lebenserwartung“, sagt Pavel Grigoriev. Nach dem Fall der Mauer nahm die Verringerung des Herz-Kreislauf-Sterberisikos in den neuen Bundesländern noch an Tempo zu und fiel um fast 40 weitere Prozent während der ersten zehn Jahre im vereinigten Deutschland.
Das Phänomen der ‚kardiovaskulären Revolution’ wurde praktisch in allen Industrienationen beobachtet. Damit ist ein massiver Rückgang von Todesfällen durch Herz-Kreislauf-bedingte Ursachen wie Herzinfarkt oder Schlaganfall gemeint. Forscher sind sich einig, dass diese Revolution durch einen gesünderen Lebensstil (weniger Rauchen und Alkohol, mehr Bewegung und gesünderes Essen) und die Gesundheitsversorgung eingeleitet wurde.
Bessere Gesundheitsversorgung beschleunigte den Prozesss
Was aber war in der DDR passiert? Demografieforscher Pavel Grigoriev hält es für sehr unwahrscheinlich, dass die Verbesserungen der Sterblichkeit im Osten vor der Wiedervereinigung auf das Gesundheitssystem zurückgehen. „Die Gesundheitsversorgung in der DDR war bekannt für ihre Ineffizienz, insbesondere bei der Behandlung von Herz-Kreislauf-Krankheiten“, so Grigoriev.
Der plausibelste Grund dafür sei, dass sich die DDR-Bürger in den 1980er Jahren einem gesünderen Lebensstil zuwandten. Allerdings fehlten dazu die Belege. „Der noch schnellere Rückgang der Herz-Kreislauf-Sterblichkeit seit 1990 kann zudem nicht ohne den Einfluss der neuen westlichen Medizinversorgung erklärt werden“, sagt er. Verhaltensänderungen allein könnten einen so starken und gleichzeitig langanhaltenden Rückgang wie seit der Wende nicht erklären.
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