Lähmung nach Schlaganfall: Neuroprothese stimuliert neue Verknüpfungen im Gehirn

Neuroprothesen ermöglichen verlorengegangene Bewegungen und unterstützen die neuroplastische Reorganisation des Gehirns – Foto: © Adobe Stock/ Wirestock
Was am Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie des Universitätsklinikums Tübingen erforscht wird, hört sich ein bisschen nach Science Fiction an: Um die Beweglichkeit einer durch einen Schlaganfall gelähmten Hand zu verbessern, werden Hirnimpulse, die bei einer versuchten oder vorgestellten Bewegung entstehen, in kürzester Zeit an technologische Hilfsmittel wie Roboterorthesen übertragen, die ein Öffnen der gelähmten Hand ermöglichen.
Neuroplastische Reorganisation des Gehirns
Auf diese Weise spürten die Probandinnen und Probanden trotz ihrer Lähmung, wie sich ihre Finger tatsächlich bewegten, erläutert Prof. Alireza Gharabaghiz, sehen also nicht bloß zu. Und: „Durch diese haptischen Eindrücke entsteht eine Feedbackschleife zwischen Gehirn und gelähmtem Muskel“, berichtet der Forscher.
Kürzlich konnten die Tübinger Forscher nachweisen, dass nach einem schweren Schlaganfall sogar sehr ausgedehnte Regionen in beiden Hirnhälften in Verbindung mit der gelähmten Hand stehen. Und dass diese Hirnareale umso größer sind, je schwerer die Patienten gehandicapt sind. Offenbar versucht das Gehirn nach einem Schlaganfall bereits von sich aus, alle geeigneten neuronalen Ressourcen zu aktivieren, um die Lähmung zu überwinden, vermuten die Wissenschaftler.
Neuroprothese aktiviert neue Verbindungen im Gehirn
In einer aktuellen Studie konnte das Team um Gharabaghi nun noch etwas anderes nachweisen: Die bereits zuvor beobachtete neuroplastische Reorganisation kann durch das Training mit einer intelligenten Neuroprothese unterstützt werden. Die Forscher konnten auch zeigen wo das genau passiert und wie neue Verknüpfungen zwischen dem Gehirn und dem gelähmten Muskel verstärkt werden, also neue Verbindungen aktiviert werden.
„Dabei synchronisieren sich die Gehirnneuronen dieser zusätzlichen Hirnareale mit den Rückenmarksneuronen, die für die Handöffnung zuständig sind. Je stärker diese Synchronisation im Frequenzband um 20 Hz stattfindet, desto bessere klinische Erfolge konnten anschließend beobachtet werden“, berichten die Studienautoren nun im Fachjournal Journal of Neuroscience.
Das Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie wurde nach eigenen Angaben 2020 gegründet, „um Experten aus der Medizin, den Neurowissenschaften, der Medizintechnik und den Computerwissenschaften unter einem Dach zusammenzuführen“, damit sie gemeinsam Therapien entwickeln, die den Betroffenen wirklich helfen. „Wir stehen noch am Anfang, verstehen nun aber besser, in welche Richtung wir schauen müssen“, so Institutschef Gharabaghi.
Schlaganfallpatienten mit Handlähmung gesucht
Eine gelähmte Hand kommt bei Schlaganfällen häufig vor. Ist etwa die linke Hand gelähmt, wurde die rechte Gehirnhälfte vom Schlaganfall geschädigt. Denn: Die Impulse zu Bewegungen der linken Körperhälfte werden normalerweise von einem umschriebenen Areal in der rechten Hirnhälfte gesteuert und umgekehrt.
Für Nachfolgestudien such das Institut noch Probanden: Patienten mit einer dauerhaften Handlähmung nach einem Schlaganfall können sich für Nachfolgestudien unter der E-Mail-Adresse neuromodulation@med.uni-tuebingen.de oder der Telefonnummer 07071 29 85138 anmelden.