Künstliche Babymilch nicht halb so gesund wie Muttermilch

Die heilsame Wirkung von Muttermilch kann Kinder bis hinein ins Erwachsenenalter vor vielen ansteckenden und chronischen Krankheiten bewahren. – Foto: AdobeStock/natalialeb
„Die Muttermilch ist eine einzigartige Flüssigkeit: Sie ist ein hervorragendes Nahrungsmittel und bestens verdaulich“, betont die Stiftung Kindergesundheit in einer aktuellen Stellungnahme. „Stillen wirkt wie eine erste Impfung für das Kind und schützt es so vor vielen ansteckenden und chronischen Krankheiten, und verringert das Risiko für den plötzlichen Kindstod (SIDS) und für Fettsucht. Außerdem treten bei stillenden Frauen später seltener Diabetes, Fettleibigkeit und einige Krebsarten auf.“ Stillen erweise sich damit als ein wahres „Wundermittel“ für die Gesundheit eines Babys – und seiner Mutter. Trotzdem stagniere die Zahl stillender Mütter, während sich der Absatz von künstlichen Muttermilch-Ersatzprodukten verdoppelt habe, kritisiert die Stiftung Kindgesundheit jetzt anlässlicher einer Bilanz der Ernährungstrends bei Säuglingen.
Muttermilch fördert nützliche Darmbakterien beim Kind
„Die menschliche Muttermilch enthält als verdauliches Kohlenhydrat Lactose sowie als unverdauliche Kohlenhydrate mehr als 150 unterschiedliche humane Oligosaccharide, die als HMO abgekürzt werden“ erläutert Professor Berthold Koletzko, Stoffwechselexperte der Universitätskinderklinik München. „Diese biologisch aktiven Substanzen fördern die Vermehrung von nützlichen Bakterien im Darm des Kindes und tragen so maßgeblich zur Ansiedlung der sogenannten Darmmikrobiota, also von gesundheitsfördernden Bakterien, Pilzen und Viren im Darm des Kindes bei“.
Darmbarriere schützt vor Krankheitskeimen und Allergenen
Die gesunde Darmmikrobiota unterstützt das Immunsystem, stärkt die Darmbarriere und schützt vor Krankheitserregern und potenziellen Allergenen, wehrt gesundheitsschädliche Keime ab und beugt Verdauungsproblemen vor. Die Milch von Kühen, Schafen oder Ziegen weist allerdings im Vergleich zu menschlicher Muttermilch 100- bis 1000-fach geringere Konzentrationen an HMO auf, „ein weiterer Beweis für die einzigartige Rolle der menschlichen Muttermilch für die Ernährung von Babys“, so Professor Koletzko.
Absatz von künstlicher Säuglingsnahrung trotzdem verdoppelt
„Es gibt allerdings ein Problem“, konstatiert die Stiftung Kindergesundheit: Während die Stillraten in den letzten Jahrzehnten nur geringfügig gestiegen sind, hat sich der weltweite Absatz von künstlicher Säuglingsnahrung in etwa der gleichen Zeit mehr als verdoppelt. Ein Grund dafür liege in den oft irreführenden Marketingmaßnahmen vieler Hersteller von Säuglingsnahrungen. Sie könnten die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass Eltern sich für eine Fläschchennahrung entschieden anstatt ihr Neugeborenes an der Brust zu ernähren.
WHO bekämpft Vermarktung von Muttermilch-Ersatzprodukten
Sogar die Weltgesundheitsorganisation WHO versucht seit geraumer Zeit, die die Vermarktung von Muttermilchersatzprodukten mit einem internationalen Kodex zu reglementieren. Dieser „WHO-Index“ ist bereits seit 1981 in Kraft, um Eltern und Säuglinge vor unangemessenen Marketingpraktiken der Babynahrungsindustrie zu schützen. Die WHO wirft Herstellern von Babynahrung eine aggressive Vermarktung vor, die gezielt Schwangere und junge Mütter adressiert und sie verunsichern kann.
„Keine Ähnlichkeit mit der komplizierten Zusammensetzung der Muttermilch“
Aus aktuellem Anlass verweist die Stiftung Kindergesundheit insbesondere auf die Praktiken der Hersteller bei der Vermarktung von Babynahrung, die mit synthetischen Oligosacchariden angereichert wird. „Die Produkte werden irreführenderweise mit der Qualität von Muttermilch verglichen, obwohl durch den Zusatz einzelner Oligosaccharide keine Ähnlichkeit mit der komplizierten Zusammensetzung der Muttermilch erreicht werden kann“, kritisiert die in München beheimatete Stiftung.
Das rät die Ernährungskommission der Kinderärzte
Die Ernährungskommission der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin „DGKJ“ sichtete zum vorliegenden Thema 53 aktuelle wissenschaftliche Studien und Richtlinien und kommt zu folgenden Ergebnissen:
- Derzeit kann die personalisierte Komplexität der Oligosaccharide in Frauenmilch in Säuglingsnahrungen nicht nachgeahmt werden.
- Hersteller von mit synthetischen Oligosacchariden angereicherten Säuglingsanfangs- und Folgenahrungen suggerieren in der Vermarktung über Packungen, Internetseiten, gesponsorte Blogs oder Zeitschriftenartikel eine größere Ähnlichkeit der Oligosaccharid-Zusammensetzung in Säuglingsnahrungen mit denen der menschlichen Milch. Dies ist sachlich falsch und kann zu einer Verbrauchertäuschung führen“, heißt es bei der Stiftung Kindergesundheit. Der Zusatz von einzelnen einfachen und kurzkettigen Oligosacchariden führt nicht zu einer Ähnlichkeit mit der komplexen Zusammensetzung von hunderten kurz- und langkettigen Oligosacchariden in menschlicher Milch.
- Die Verwendung von Begriffen wie „Humane Milch-Oligosaccharide“ und darauf verweisende Abkürzungen wie „HMO“ bei der Bewerbung von Säuglingsnahrung stellen eine unzulässige Idealisierung dar, die der Gesetzgebung der Europäischen Union widerspricht.
- Eine bevorzugte Verwendung von Säuglingsnahrungen mit synthetischen Oligosaccharid-Zusätzen wird deshalb auf der Basis der derzeitigen Datenlage nicht empfohlen.