Krebs: Plötzlich interessieren sich alle für Methadon

Methadon als Krebsmittel: Niedergelassene Onkologen halten die Datenlage für zu dünn und fürchten falsche Erwartungen
In Medien und sozialen Netzwerken sorgt Methadon derzeit für Schlagzeilen. Es geht allerdings nicht um die schmerzlindernde Wirkung des Opiats und auch nicht um die Drogenersatztherapie. Es geht um Krebserkrankungen, genauer gesagt um unheilbare Krebserkrankungen. Methadon, das belegen Studien mit Krebszellen und Mäusen, kann die Wirkung einer Chemotherapie verstärken, und zwar so, dass selbst chemoresistente Tumorzellen massenhaft absterben. Und es gibt einzelne Patienten, bei denen die Chemotherapie erst durch die zusätzliche Gabe von Methadon wirkte. Dr. Claudia Friesen vom Universitätsklinikum Ulm hat mehr als 350 solcher Fälle dokumentiert.
Das Problem: Bei den Fällen handelt es sich um individuelle Heilversuche. Die haben zwar für den einzelnen Patienten eine enorme Bedeutung, aber nicht für die Wissenschaft. Theoretisch könnte der Behandlungserfolg nämlich auch einfach nur Zufall oder ein großes Glück gewesen sein. Einen sicheren wissenschaftlichen Beweis, dass Methadon Krebspatienten hilft, können nur prospektive, randomisierte klinische Studien erbringen, aber die gibt es dato nicht.
Onkologen wollen keine falschen Hoffnungen wecken
Doch die Berichte von regelrechten Wunderheilungen wecken enorme Hoffnungen bei Krebspatienten. Das bekommen aktuell auch die onkologischen Praxen mit. Bundesweit häufen sich laut dem Berufsverband der niedergelassenen Hämatologen und Onkologen (BNHO) in den letzten Monaten die Nachfragen, ob Methadon die Wirksamkeit einer Krebstherapie verbessern kann. Die Onkologen bezweifeln das jedoch. Ihrer Ansicht nach basieren die dargestellten Erfolge hauptsächlich auf Laborversuchen mit Krebszellen in Zellkulturen, die beim Menschen erst noch in unabhängigen Studien bestätigt werden müssen.
„Die bisher vorliegenden Untersuchungsergebnisse entsprechen bei weitem nicht den medizinischen Qualitätsanforderungen für ein neues Medikament in der Krebstherapie“, teilte der BNHO auf Nachfrage mit. Methadon sei lediglich ein experimenteller Ansatz, der aber weiter erforscht werden sollte. „Der BNHO fordert eine Förderung von auch industrieunabhängiger Forschung damit Krebspatienten möglichst rasch in den Nutzen von neuen innovativen Medikamenten kommen“, so der Verband weiter.
Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit äußerten bereits die Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Onkologie (DGHO), der neuroonkologische Arbeitskreis der Deutschen Krebsgesellschaft und andere Fachgesellschaften. Zuletzt hatte die DGHO im April eine Stellungnahme per Rundschreiben verschickt, indem sie vor dem unkritischen Einsatz von Methadon in der Krebstherapie warnte. Diesen kritischen Stellungnahmen schließt sich auch der Berufsverband der niedergelassenen Onkologen an.
„Allroundtalent gegen Hirntumore“ soll in klinischer Studie getestet werden
Krebspatienten dürften im Moment also kaum einen Onkologen finden, der ihnen D, L-Methadon verschreibt. Um einen flächendeckenden Einsatz zu rechtfertigen, geht kein Weg an den geforderten prospektiven, randomisierten Studien vorbei. Nachdem die Deutsche Krebshilfe Methadon bereits vor drei Jahren als „Allroundtalent gegen Hirntumore“ gepriesen hatte, - Auslöser waren Laborexperimente von Dr. Claudia Friesen - liegt der Organisation nun ein erneuter Antrag auf eine Studie vor. Diesmal geht es nicht um Zellen im Labor, sondern um Patienten mit Glioblastom im Rahmen einer klinischen Studie, wie Prof. Wolfgang Wick vom Universitätsklinikum Heidelberg kürzlich bei SternTV bestätigte. Der Neuroonkologe rechnet bis Herbst mit einer Entscheidung, glaubt aber, dass die Krebshilfe "aufgrund des hohen öffentlichen Drucks" grünes Licht geben wird.
Der Medizinjournalist Michael van den Heuvel wundert sich unterdessen über den aktuellen Hype um Methadon. Auf Doc Check News schreibt er: „Der Aktionismus zum jetzigen Zeitpunkt überrascht. Vor rund zehn Jahren fand Friesen erste Erkenntnisse, dass Methadon Krebszellen absterben lassen könnte. Seither ist wenig passiert.“ Auch gibt er zu Bedenken, dass die Betroffenen die Ergebnisse der geplanten Studie kaum erleben dürften. Beim Glioblastom schwankt die mittlere Überlebenszeit zwischen 8 und 17 Monaten – die geplante Studie dauert mindestens drei Jahre.
Foto: pixabay Freie kommerzielle Nutzung