Krebs bei Kindern kann schon in der Schwangerschaft entstehen

In rot, grün und hellblau sieht man Nester aus Vorläuferzellen des Neuroblastoms in der Nebenniere. – Foto: S. Jansky/KiTZ
Ob Säuglinge oder Kleinkinder eine bestimmte Form von Krebs bekommen, entscheidet sich in einem kleinen Zeitfenster in der Frühphase der Schwangerschaft. Dann kann es passieren, dass unreife Vorläuferzellen von Nervenzellen sich zu Krebszellen entwickeln – anstatt zu ganz normalen, reifen Nervenzellen. Das zeigt eine gemeinsame Studie von Krebsforschern der Universität, des Kindertumorzentrums (KiTZ) sowie des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ) in Heidelberg. Der Wissenschaftsstandort gilt als eines der wichtigsten Zentren für Krebsforschung und -therapie deutschlandweit.
Betroffen sind Kleinkinder zwischen eins und drei
Neuroblastome gehören zu den häufigsten Tumorerkrankungen bei Kindern. Betroffen sind vor allem Säuglinge und Kinder. Entdeckt wird diese Tumorform meist zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr. Die Entstehung liegt aber viel länger zurück, was sich in der fachsprachlichen Bezeichnung „Neuroblastome" abbildet, auch wenn sie etwas kryptisch klingen mag: „Neuro“ für „die Nerven betreffend“; und „Blastome“ für „embryonale Tumore, die während der Gewebe- oder Organentwicklung entstehen“.
Krebs oder nicht: Weichenstellung im Embryo
Neuroblastome treten entweder im Bereich der Nebennieren auf oder entlang der Wirbelsäule im Hals, Brustkorb oder Bauchbereich. In einigen Fällen bilde sich der Tumor ohne jegliche Therapie komplett zurück; bei etwa der Hälfte der Patienten schreite er jedoch trotz hochintensiver Therapie unaufhaltsam voran, heißt es in einer Mitteilung des Deutschen Krebsforschungszentrums. Bestimmte Entwicklungsprozesse im menschlichen Embryo stellten die Weichen für eine spontane Heilung oder einen ungünstigen Verlauf dieser Krebserkrankung.
Ursprung der Neuroblastomzellen im Nebennierenmark
Erstmals konnte das Forscherteam aus Heidelberg auch den Ursprung der Neuroblastomzellen im Menschen klären. Am häufigsten entstehen Neuroblastome demnach im Nebennierenmark. Um zu untersuchen, in welchen Zellen und welchem zellulären Entwicklungsstadium die Zellteilung aus dem Ruder läuft, erstellten die Wissenschaftler erstmals anhand von Einzelzellanalysen einen zellulären Atlas der entstehenden menschlichen Nebenniere. Bislang gab es solche Daten nur aus Versuchen mit Mäusen. „Auf der Basis dieser Kartierung konnten wir den zellulären Ursprung des Neuroblastoms im Menschen zum ersten Mal richtig definieren“, sagt die Erstautorin der Studie, Selina Jansky.
Aktivitäten von Genen entscheiden über Krankheitsverlauf
Darüber hinaus zeigte die Studie erstmals, dass Aktivitäten bestimmter Gene über einen günstigen oder ungünstigen Krankheitsverlauf bei den Patienten entscheiden. „Die Entwicklung in reife Nervenzellen scheint bei bösartigen Neuroblastomzellen blockiert zu sein“, sagt Frank Westermann, der Leiter der Studie. „Bösartige Neuroblastomzellen bringen sich damit in einen Zustand der Selbsterneuerung, der dem von Stammzellen ähnelt, die unbegrenzt teilungsfähig sind. Das könnte auch erklären, warum sie so wandlungsfähig sind und schnell gegen Therapien resistent werden.“
Weiterentwicklung der Frühdiagnostik wichtig
Die Heidelberger Wissenschaftler wollen mithilfe der gewonnen Daten den entscheidenden genetischen „Schalter“ finden, um die blockierte Zellreifung durch medizinische Interventionen wieder aktivieren zu können. Außerdem hoffen sie, dass die Ergebnisse der Studie dazu beitragen, eine bessere Frühdiagnostik für Kinder zu entwickeln. „Die Tumore entwickeln sich langsam und werden leider erst im ersten bis dritten Lebensjahr bei den Kindern erkannt“, sagt Krebsforscher Westermann. „Unsere Ergebnisse zeigen, dass sie jedoch vermutlich schon früh in der Schwangerschaft entstehen. Das heißt, wir müssen auch in puncto Frühdiagnostik ganz neue Wege gehen.“
Was ist das Deutsche Krebsforschungszentrum?
Das Deutsche Krebsforschungszentrum (DKFZ) ist mit mehr als 3.000 Mitarbeitern die größte biomedizinische Forschungseinrichtung in Deutschland. Über 1.300 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erforschen hier, wie Krebs entsteht, erfassen Krebsrisikofaktoren und suchen nach neuen Strategien, die verhindern, dass Menschen an Krebs erkranken. Außerdem entwickeln sie neue Methoden, mit denen Tumore präziser diagnostiziert und Krebspatienten erfolgreicher behandelt werden können.
Das DKFZ ist einer der drei Träger des an der Studie beteiligten „Hopp-Kindertumorzentrums Heidelberg“ (KiTZ). Letzteres ist gleichzeitig Therapie- und Forschungszentrum für onkologische und hämatologische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter.