Kinder mit chronischem Fatiguesyndrom nach wie vor unterversorgt

Zu erschöpft zum Lernen: Kinder mit chronischen Fatiguesyndrom leiden unter Reizüberflutung
Seit Ende der 1960er Jahre ist die Myalgische Enzephalomyelitis ME bzw. das Chronic Fatigue Syndrome (CFS) – kurz ME/CFS - von der WHO als neuroimmunologische Krankheit anerkannt. Dennoch gibt es für Betroffene nach wie vor keine wirksame Behandlung und in der Regel nur unzureichende medizinische Versorgung. Experten schätzen, dass in Deutschland etwa 300.000 Menschen von der schweren Erkrankung betroffen sind, davon rund 40.000 Kinder und Jugendliche. Weil das Krankheitsbild unter Ärzten immer noch weitgehend unbekannt ist, haben die meisten Betroffenen eine jahrelange Ärzteodyssee und zahlreiche Fehldiagnosen hinter sich - zum Teil schwerwiegende Falschbehandlungen sind die Folge.
Myalgische Enzephalomyelitis: Unvorstellbare Belastungen
„Die Belastungen sind unvorstellbar", sagt Nicole Krüger, Vorsitzende der Lost Voices Stiftung, die anlässlich des internationalen ME/CFS-Tags besonders auf das Schicksal von Kindern und Jugendlichen aufmerksam machen will. „Nicht nur sind bis zu 40 Prozent der Kinder so schwer erkrankt, dass sie nicht mehr zur Schule gehen können, hinzukommt, dass die Situation durch Unwissen und Unverständnis von Kinderärzten, Jugend- und Sozialbehörden häufig noch verschärft wird". Oft werde das Krankheitsbild nicht als eine neuroimmunologische Erkrankung gemäß WHO-Einordnung von den Ärzten erfasst, sondern fälschlicherweise als eine psychiatrische Erkrankung fehldiagnostiziert - insbesondere als Schulphobie.
Anders als Kinder mit Schulangst sind Kinder mit ME/CFS jedoch typischerweise auch an den Wochenenden und nicht nur während der Schulwoche krank. „Wir kennen Fälle, wo die erkrankten Kinder von der Herausnahme aus ihren Familien durch die Behörden oder gar Kinderschutzverfahren bedroht sind", so Krüger. „Wir brauchen daher dringend eine flächendeckende Versorgung mit Kinderärzten, die ME/CFS diagnostizieren und Fehlbehandlungen verhindern können."
Gefährliche Fehldiagnosen
Bislang gibt es noch keine eindeutigen Blutwerte oder bildgebenden Verfahren zur Diagnose von ME/CFS. Daher sind psychiatrische Fehldiagnosen an der Tagesordnung. Dabei gibt es klare Diagnosekriterien, anhand derer ME/CFS in Verbindung mit Ausschlussdiagnosen diagnostiziert werden kann. Die wenigsten Ärzte allerdings kennen die Kriterien oder die nötigen Ausschlussdiagnosen. Häufige Folge: Fehldiagnosen, Fehlbehandlungen, Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken, die nicht auf die Behandlung von ME/CFS ausgerichtet sind, und somit häufig mit Zustandsverschlechterung einhergehen.
"Kinder mit ME/CFS leiden unter Reizüberflutungen durch Berührungen, Licht und Geräusche, außerdem ist eine Zustandsverschlechterung nach körperlicher und geistiger Belastung neben anderen schwerwiegenden Symptomen typisches Merkmal von ME/CFS", weiß Krüger. Psychosomatische Therapieansätze beinhalten allerdings oft genau dies: Aktivierungen, Aufforderungen zu Bewegung, hohe Geräuschpegel. „Unsere Erfahrungen mit betroffenen Familien zeigen, dass diese Fehlbehandlungen soweit gehen können, dass dabei sogar die körperliche Unversehrtheit des Kindes gefährdet wird", so die Vorsitzende der Stiftung.
Abhilfe könne nur eine breite Aufklärungsoffensive schaffen. Krüger: „Wir brauchen eine bessere Ausbildung der Ärzteschaft, eine flächendeckende Versorgung und mehr biomedizinische Forschung, um endlich wirksame Therapien zu finden.“
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