Jeder zweite Deutsche ist erschöpft: Das sind die Gründe

Am Limit: Ausbildung, Studium und die Doppelbelastung von Familie und Beruf bringen besonders viele an ihre Grenzen. – Foto: AdobeStock/Yakobchuk Olena
Rund die Hälfte der Bevölkerung in Deutschland fühlt sich aktuell erschöpft, bei der berufstätigen Bevölkerung sogar eine deutliche Mehrheit. Das ist das Ergebnis einer repräsentativen Befragung des Freiburger Beratungsunternehmens Auctority in Zusammenarbeit mit dem Meinungsforschungsunternehmen Civey aus Berlin. Besonders betroffen ist der Studie zufolge die Altersgruppe zwischen 30 und 40 Jahren. Aber auch Studierende und Auszubildende leiden derzeit unter massiver Erschöpfung aufgrund des Zusammenspiels von beruflichen, privaten und gesellschaftlichen Herausforderungen.
Erschöpfung: Haushalte mit Kindern besonders betroffen
Eine Mehrheit von 49,5 Prozent der deutschen Bevölkerung bezeichnet sich derzeit als erschöpft, gegenüber 40,1 Prozent, die weniger erschöpft sind. Frauen sind im Durchschnitt etwas mehr erschöpft als Männer. Deutlich zeigt sich die Herausforderung, Beruf und Familie unter einen Hut zu bringen. Personen in Haushalten mit Kindern fühlen sich mit 61,2 Prozent deutlich erschöpfter als in Haushalten ohne Kinder mit 47 Prozent.
Erschöpfung bei Studenten und Azubis „besorgniserregend“
Mit am stärksten erschöpft zeigt sich die Altersgruppe zwischen 30 und 40 mit 73 Prozent, und selbst in der Altersgruppe ab 65 Jahren bezeichnen sich noch 32,5 Prozent als erschöpft. Während die Älteren ab 65 Jahren hauptsächlich gesundheitliche Gründe mit 56 Prozent als Ursache für Erschöpfung sehen, ist es für die mittleren Altersgruppen durchgängig die Situation bei der Arbeit. Als „besorgniserregend“ werten die Studien-Autoren die Einschätzungen von Studierenden und Auszubildenden, die mit 73,8 Prozent und 76,3 Prozent angeben, erschöpft zu sein – das sind innerhalb dieser Studie die absoluten Spitzenwerte.
Auch die mediale Informationsflut trägt zur Erschöpfung bei
Jenseits von Arbeits- und Privatleben zeigt sich in der Erschöpfungs-Studie zudem, dass auch die allgemeine wirtschaftliche Lage (32,2 Prozent), die allgemeine politische Lage (29,2 Prozent) sowie die Informationsflut und die Medien (24,1 Prozent) zur Erschöpfung beitragen.
Generation der 30- bis 40-Jährigen: Viele am „Erschöpfungslimit“
Für die Wirtschaftspsychologin Christina Guthier, fachliche Begleiterin der Studie, sind die Befunde alarmierend. „Die Generation zwischen 30 und 40 steckt in der Zwickmühle zwischen beruflichen, privaten und gesellschaftlichen Herausforderungen und scheint gerade verschlissen zu werden“, sagt die Wissenschaftlerin aus Düsseldorf. „Mehr als ein Drittel dieser Altersgruppe beobachtet diese Erschöpfung auch in Ihrem Umfeld, und mit 15 Prozent dieser Gruppe befindet sich ein erheblicher Anteil bereits am Erschöpfungslimit.“
Als problematisch erweist sich der Studie in diesem Zusammenhang auch, dass gut ein Viertel der Befragten über keine richtige Bewältigungsstrategie für den Umgang mit Erschöpfung verfügt.
Ursachen für die Erschöpfung am Arbeitsplatz
Überdurchschnittlich viele Fälle von Erschöpfung gibt es der Studie bei erwerbstätigen und beruflich engagierten Menschen. Hier beobachten Wissenschaftler seit Jahren eine steigende Tendenz. In der Civey-Studie findet sich dieses Ranking der Ursachen für Erschöpfung am Arbeitsplatz:
- Leistungsdruck: 56,3 Prozent
- Zeitdruck: 43,1 Prozent
- Zu viel Arbeit: 41,2 Prozent
- Probleme mit Vorgesetzten: 30,6 Prozent
- Angst vor möglichem Arbeitsplatzverlust: 21,7 Prozent
- Schlechte Bezahlung: 20,8 Prozent
- Probleme mit Kollegen: 20,0 Prozent
- Starker Konkurrenzkampf: 11,5 Prozent
Fachkräftemangel, Digitalisierung, Ukraine-Krieg: „Massive Herausforderungen vor uns“
Andreas Scheuermann, Partner des Beratungsunternehmens Auctority, sieht Unternehmen gefordert, die eigene Arbeitsorganisation zu hinterfragen. „Unternehmen sind sich der Dramatik der Lage nicht bewusst und spekulieren darauf, dass sich akute Belastungen auch wieder abbauen. Wir haben uns noch nicht einmal von der Sonderbelastung durch Corona erholt, und mit Fachkräftemangel, Demografie, Digitalisierung oder wirtschaftliche Folgen von Kriegen und Klimawandel stehen massive Herausforderungen vor uns. Die übermäßige Dauerbelastung ist Normalität geworden.“
Nach Ansicht des Beraters sind deshalb zwingend eine Entbürokratisierung der Unternehmen, ein Abbau von Hierarchien und stärker kollaborative Lösungsfindung über Unternehmensgrenzen hinweg erforderlich. Auch das Führungsverhalten von Vorgesetzten müsse sich stärker an absehbaren Belastungsgrenzen orientieren.
Work-Life-Balance in Unternehmen muss sich verbessern
„Erschöpfung wird als weniger bedrohlich wahrgenommen, wenn Unterstützung und Autonomie auf der Arbeit gewährleistet sind“, kommentiert Wirtschaftspsychologin Guthier die Ergebnisse der Studie und sieht dringenden Handlungsbedarf für Unternehmen: „Wir müssen Arbeitsbedingungen schaffen, in denen es sich für den oder die Einzelne lohnt, Leistung zu erbringen und gleichzeitig genügend Zeit und Raum für Erholung sichergestellt wird.“