Heinsberg-Studie zeigt überraschende Ergebnisse: Ansteckungsrisiko im Haushalt mit 15 Prozent sehr gering

Heinsberg-Studie zeigt: Dort wo Viele Menschen auf engem Raum sind, breitet sich das Coroanvirus rasend schnell aus. In Haushalten ist das Ansteckungsrisiko deutlich geringer
Mit Spannung wurden die vollständigen Ergebnisse der Heinsberg-Studie erwartet. Seit Montag liegen sie nun vor, die Daten zum Infektionsgeschehen im Landkreis Heinsberg in Nordrhein Westfalen, wo es nach einer Karnevalssitzung zu einem massiven Corona-Ausbruch gekommen war.
Im Rahmen der Studie hatte ein Forschungsteam um Prof. Dr. Hendrik Streeck und Prof. Dr. Gunther Hartmann von der Universität Bonn in der Ortschaft Gangelt 919 Einwohner aus 405 Haushalten befragt, Proben genommen und analysiert.
Hochgerechnet haben sich demnach 15 Prozent der Gangelter mit dem Coronavirus infiziert. Dieses Ergebnis war schon im Zwischenbericht bekannt geworden, ist aber nicht auf Deutschland übertragbar, da Gangelt eine regelrechte Corona-Hochburg war.
Die Auswertung bringt außerdem neue Erkenntnisse zur Infektionssterblichkeit, zur Dunkelziffer sowie zur Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt mit dem Coronavirus zu infizieren.
Sterblichkeit gering oder hoch?
In der Studie wurde eine Infektionssterblichkeit (IFR) von 0,37 Prozent gezeigt. Die IFR gibt den Anteil der Todesfälle unter allen Infizierten an, also auch jene positiv getesteten mit eingerechnet, die gar keine Symptome hatten. In der Heinsberg Studie lag der Anteil der asymptomatisch Infizierten immerhin bei 22 Prozent. Die IFR muss von der Fallsterblichkeit (CFR) unterschieden werden, die die Sterblichkeit unter den Erkrankten beziffert. Die Studienautoren werten eine IFR von 0,37 Prozent als „erfreulich niedrig.“
Anders der Virologe und Epidemiologe Prof. Alexander Kekulé. Zur IFR von fast 0,4 Prozent sagte er im MDR Podcast am Montag: „Das ist relativ hoch.“ Die Zahl liege fast in dem Bereich, wo bisher die fallbezogene Sterblichkeit gesehen worden sei. „Ich hoffe, dass es an der Stichprobe liegt.“
Dunkelziffer mit Faktor 10
Ausgehend von der Infektionssterblichkeit hat das Bonner Team die Dunkelziffer für Deutschland berechnet. Die Hochrechnung geht so: Wenn 0,37 Prozent aller Infizierten sterben – bedeuten die 6.700 Verstorbenen etwa 1,8 Millionen Infizierte im gesamten Land. Damit wäre die Dunkelziffer um den Faktor 10 größer als die Gesamtzahl der offiziell gemeldeten Fälle, schlussfolgern die Autoren.
Alexander Kekulé zweifelt indes an der Interpretation der Ergebnisse und meint, man könne anhand der Studie nicht die Dunkelziffer für Deutschland hochrechnen. „Das ist ein Ort, der massiv und explosionsartig getroffen wurde, dort gibt es viel mehr Infizierte als im Durchschnitt der Bevölkerung.“
22 Prozent asymptomatische Verläufe
Durch die Heinsberg Studie konnte erstmals gezeigt werden, dass eine COVID-19 Erkrankung mit einem Verlust des Geruchs- und Geschmackssinns einhergehen kann. Dieser Fund hatte weltweit Beachtung gefunden. Weiter konnten die Forscher beobachten, dass 22 Prozent der Infizierten keinerlei Symptome hatten. Dies bestätige die Wichtigkeit der allgemeinen Abstands- und Hygieneregeln in der Corona-Pandemie“, sagt Studienautor Prof. Martin Exner, Leiter des Instituts für Hygiene und öffentliche Gesundheit. „Jeder vermeintlich Gesunde, der uns begegnet, kann unwissentlich das Virus tragen. Das müssen wir uns bewusst machen und uns auch so verhalten.“
Auffällig ist, dass Personen häufiger Symptome hatten, die an der Karnevalssitzung teilgenommen haben. Das lässt neue Schlussfolgerungen auf die Ansteckungswege zu. Viele Menschen auf engem Raum, das ist laut den Studienautoren ein Brandbeschleuniger für die Übertragung des Coronavirus.
Überraschend geringe Ansteckungsrate im Haushalt
Dagegen war die Ansteckungsrate in den untersuchten Mehrpersonen-Haushalten überraschend gering. Die Wahrscheinlichkeit, sich im eigenen Haushalt zu infizieren, lag nur bei 15 Prozent. Das bedeutet, dass anders als bisher angenommen ein Infizierter nicht zwangsläufig den Rest der Familie ansteckt. Zwei Studien aus Asien kamen zu etwa den gleichen Ergebnissen.
Virologe Kekulé spekuliert, dass es unterschiedliche Übertragungsereignisse geben muss. Möglicherweise entstünden beim Singen oder Schreien Aerosole in der Luft, die das tiefe Einatmen des Virus begünstigten. „Es sieht so aus, dass selbst im gleichen Haushalt diese Art von Kontakten nicht stattfinden“, kommentierte er das überraschende Ergebnis.
Wenig überraschend und für viele gestresste Eltern enttäuschend ist, dass die Infektionsraten bei Kindern, Erwachsenen und Älteren sehr ähnlich sind. „Sie hängen offenbar auch nicht vom Alter ab“, sagt Studienleiter Prof. Streeck. Es gebe auch keine signifikanten Unterschiede zwischen den Geschlechtern.
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