Grippe hinterlässt Langzeitfolgen im Gehirn

Grippeviren beeinträchtigen das Gehirn für lange Zeit
Alle reden vom Coronavirus und seinen möglichen Langzeitschäden. Doch auch die Grippe ist mehr als ein gewöhnlicher Infekt. Grippeviren zerstören Atemwegszellen, bestimmte Immunzellen und vermutlich auch Gehirnzellen. Gerade ältere Menschen erholen sich oft nur schwer von einer Grippe und können danach noch für längere Zeit desorientiert sein oder vergesslicher als sonst. Zudem gibt es viele Hinweise, dass Grippe Depressionen verursacht und womöglich sogar in Zusammenhang mit der Alzheimer Erkrankung steht.
Forscher der TU Braunschweig haben nun untersucht, was Grippeviren mit den Hirnen von Mäusen machen, und zwar noch lange Zeit nach der Infektion. „Es ist bekannt, dass das Gehirn auf Infekte reagiert, aber bisher hat noch niemand untersucht, was danach passiert“, sagt Prof. Martin Korte von der Abteilung Zelluläre Neurobiologie an der TU-Braunschweig. Korte untersuchte zusammen mit seinem Team das Lern- und Erinnerungsvermögen sowie die Gehirnstrukturen von Mäusen, die zuvor mit verschiedenen Influenza-A-Virentypen infiziert worden waren: mit dem H1N1-Erreger, ähnlich dem Verursacher der Spanischen Grippe vor 100 Jahren, dem H3N2-Virus, Auslöser der Hongkonggrippe 1968, und der Subtyp H7N7, der zurzeit vor allem Vögel gefährdet aber als möglicher Ausgangserreger für eine Pandemie gilt.
Gehirn erholt sich nur langsam
Dabei zeigten die Tiere noch 30 Tage nach der Infektion Einschränkungen bei Lern- und Gedächtnisaufgaben und wiesen strukturelle Veränderungen an Nervenzellen im Gehirn auf, etwa in Form einer geringeren Anzahl an Synapsen. Erst vier Monate später waren keine Veränderungen mehr messbar. „Auf die Lebenserwartung eines Menschen hochgerechnet, würde der Erholungsprozess einige Jahre dauern“, sagt TU-Forscherin Dr. Kristin Michaelsen-Preusse.
Jedoch ist Grippevirus nicht gleich Grippevirus: Während für H3N2 und H7N7 Langzeitfolgen nachgewiesen werden konnten, blieb eine Infektion mit H1N1 ohne Folgen für das Gehirn. „Besonders erstaunt waren wir darüber, dass auch der Stamm H3N2 Nachwirkungen hatte, obwohl er gar nicht im Gehirn aktiv ist“, sagt Projektleiter Korte.
Immunzellen spielen verrückt
In der Studie mussten die grippe-infizierten Mäuse verschiedene Aufgaben absolvieren, zum Beispiel nach ein paar Trainingseinheiten eine mit Wasser bedeckte Plattform finden. Untersuchungen an den Gehirnen getöteter Tier vor allem des Hippocampus brachten schließlich die hirnstrukturellen Veränderungen zu Tage. Besonders die veränderte Zahl an Synapsen und Dichte der Mikrogliazellen fiel auf. Mikrogliazellen sind Immunzellen des Gehirns, die ständig ihre Umgebung scannen und für Ordnung sorgen, indem sie zum Beispiel die Reste abgestorbener Zellen entfernen. „Im Fall von Infektionen können sie zu Soldaten werden, die den Feind bekämpfen, dabei aber in einer Art Überreaktion auch Nervenzellen schädigen“, erklärt Michaelsen-Preusse. Die Forscher vermuten deshalb, dass bestimmte Immunreaktionen, auch wenn sie gar nicht im Gehirn stattfinden, über Botenstoffe bis ins Gehirn schwappen und dort eine überschießende Aktivität der Mikrogliazellen auslösen können. Eventuell ließe sich diese Reaktion eines Tages mit bestimmten Hemmstoffen unterdrücken, hofft die Forscherin. Das allerdings ist noch Zukunftsmusik.
Viel näher liegt die Frage, inwieweit eine Grippeimpfung die Folgen der Immunattacke im Gehirn verhindern kann. Das will das Forscherteam nun in einer weiteren Studie untersuchen. Die Ergebnisse könnten ein weiteres Argument für die Grippeimpfung sein.