Fernab von der Versorgungsrealität: Apotheker kritisieren Lieferengpass-Gesetz

ABDA-Präsidentin Overwiening (mi) kündigt politische Protestaktionen gegen das geplante Lieferengpass-Gesetz an – Foto: ©ABDA/Ansgar Schwarz
Lieferengpässe bei Arzneimitteln sind nach wie vor ein großes Ärgernis. Damit aus Lieferproblemen keine Versorgungsengpässe entstehen, hat sich die Ampel-Koalition ein neues Gesetz ausgedacht: Das Arzneimittel-Lieferengpassbekämpfungs- und Versorgungsverbesserungsgesetz (ALBVVG) soll den Plänen nach am 1. August in Kraft treten. Vor wenigen Wochen hat das Bundesgesundheitsministerium einen ersten Referentenentwurf vorgelegt. Doch der stößt bei Apothekern auf wenig Gegenliebe.
Laut Apothekern droht im Sommer ein Versorgungschaos
Das Gesetz sei „patientenfeindlich“ und ein „bürokratischen Irrsinn“, kritisierte die Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände (ABDA) Gabriele Regina Overwiening am Dienstag in Berlin das Gesetzesvorhaben. Es löse nicht die Probleme, sondern verschärfe sie. „Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach ist dafür verantwortlich, das womöglich größte Chaos in der bundesdeutschen Arzneimittelversorgung loszutreten“, sagte sie.
Der Gesetzesentwurf wird die augenblicklichen geltenden Austauschmöglichkeiten von Arzneimitteln deutlich einschränken. Im April 2020 hatte die Bundesregierung die Abgaberegeln für Apotheken deutlich gelockert. Hintergrund war die wachsende Anzahl an Lieferengpässen während der Corona-Pandemie. Seither dürfen Apotheker ein vorrätiges Ersatzpräparat abgeben, wenn das verordnete Medikament nicht lieferbar ist. Die Flexibilität der Apotheker geht dabei so weit, dass sie nicht nur etwa die Darreichungsform ändern können (z.B. Zäpfchen statt Tabletten), sondern nach Rücksprache mit Arzt auch Präparate mit einem anderen therapeutisch vergleichbaren Wirkstoff abgeben können. „Diese bewährte Lösung ab dem Sommer abzuschaffen – das gleicht einem Schildbürgerstreich“, sagte Overwiening
Neues Gesetz sieht eine Engpass-Liste beim BfARM vor
Künftig sollen Apotheker nur noch solche Medikamente austauschen dürfen, die auf einer sogenannten Engpass-Liste des BfARM stehen. Die Liste soll auf freiwilligen Meldungen der Hersteller basieren, wenn sich ein Lieferengpass abzeichnet. Das betrifft aber nur rezeptpflichtige Arzneimittel.
Ein handwerklicher Fehler, findet Prof. Martin Schulz, Geschäftsführer Arzneimittel der ABDA. „Mit der Versorgungsrealität hat diese Liste nichts zu tun“, sagte er. Denn erstens stünden viele kritische Medikamente wie Arzneisäfte für Kinder nicht auf der Engpass-Liste. Und zweitens seien Reserven etwa bei den Apotheken, im Großhandel oder in medizinischen Einrichtungen beim BfARM nicht erfasst. Wenn diese Liste tatsächlich darüber entscheiden solle, was Apotheker austauschen dürften, „dann kommt der Versorgungsengpass“, prophezeite Schulz.
Apotheken wollen laut werden
Statt Engpass-Liste fordern die Apothekerverbände, die gelockerten Abgaberegeln dauerhaft beizubehalten - und den Gesetzesentwurf entsprechend zu ändern. Nur so könnten Patienten weiterhin mit passenden Arzneimitteln versorgt und Lieferengpässe abgemildert werden, hieß es. „Alles andere mündet im Versorgungschaos“, erklärte Verbandschefin Overwiening. Die Apotheken wollten nun „sehr laut werden“, um die Ampel-Koalition zum Verbessern des Gesetzesentwurfs zu bewegen. Geplant seien verschiedene politische Protestaktionen.
Eigentlich hatten Apotheker das drohende Versorgungschaos schon an Ostern kommen sehen. Denn am 7. April läuft die sogenannte „SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung“ automatisch aus. Doch sozusagen in letzter Minute hatten die Ampelfraktionen im Bundestag einen Änderungsantrag eingereicht. Die flexiblen Regelungen zur Arzneimittelabgabe werden nun bis zum 31. Juli 2023 verlängert.