Deutschland hat zu wenig Hebammen

In Berlin herrscht Hebammenmangel – Foto: ©Kzenon - stock.adobe.com
In Berlin ist die Zahl der Geburten in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. So kamen im Jahr 2016 über 42.000 Babys zur Welt, so viele, wie seit Jahrzehnten nicht. Doch das hat auch Probleme zur Folge, denn für werdende Mütter wird es immer schwieriger, eine Hebamme zu finden – sei es für die Nachsorge zu Hause oder als Beleghebamme im Kreißsaal. Für acht Wochen nach der Geburt haben junge Mütter einen gesetzlichen Anspruch auf Hebammen-Betreuung zu Hause. Doch eine Hebamme zu finden, bleibt den Eltern selbst überlassen. Und die Geburtshelferinnen sind überlastet: Dem Deutschen Hebammenverband (DHV) zufolge kümmern sich in der Hauptstadt derzeit 750 Hebammen um die werdenden und jungen Mütter - viel zu wenige. Und ein großer Teil davon arbeitet auch nur in Teilzeit.
Bereits im vergangenen Jahr wurden zahlreiche Fälle gemeldet, bei denen Frauen, die bereits in den Wehen lagen, von Kreißsälen abgewiesen wurden – auch, wenn sie sich dort Monate im Voraus angemeldet hatten. Und nicht nur in Berlin steckt die Geburtsmedizin in der Krise, sondern in ganz Deutschland. Auf diese Umstände machen Verbände und Betroffene am Internationalen Hebammentag, der am 5. Mai 2018 stattfindet, aufmerksam.
Anmeldezahlen werden reduziert, Kreißsäle geschlossen
Nicht nur die steigenden Geburtszahlen sind ein Grund für die Misere, auch die Abrechnungspauschalen an den Krankenhäusern erschweren die Situation. Eines der Probleme: Natürliche Geburten sind für Krankenhäuser wirtschaftlich uninteressant – höchstens mit Kaiserschnitten lässt sich noch Geld verdienen. Für eine komplikationslose „normale“ Geburt bekommt eine Klinik in Berlin rund 1700 Euro – tatsächlich belaufen sich die Kosten für das Krankenhaus jedoch auf zwischen 1500 und 2100 Euro. Die Folge: Immer mehr Kreißsäle werden geschlossen, vor allem in kleineren Krankenhäusern. Zudem begrenzen viele Geburtskliniken die Anmeldezahlen. In Berlin sind es bereits acht von 19 Kliniken, die diesen Schritt vollzogen haben, vier weitere sollen dies zurzeit planen.
Schlechte Arbeitsbedingungen für Hebammen
Eine weitere Folge der Entwicklung sind zunehmend schlechte Arbeitsbedingungen für Hebammen: Viele von ihnen sind überlastet, nicht selten müssen sie drei Frauen parallel betreuen, aber auch die Versorgung von vier Frauen und mehr ist keine Seltenheit. Fast zwei Drittel der Hebammen müssen regelmäßig Vertretungen übernehmen. Pausen können nicht eingehalten werden und Überstunden werden zur Regel. Zudem werden Hebammen immer häufiger auch für fachfremde Aufgaben eingesetzt.
Hinzu kommen hohe Versicherungsprämien vor allem für Geburtshelferinnen, die freiberuflich nicht nur Nachsorgen leisten, sondern auch Geburten betreuen. Nach Angaben des Deutschen Hebammenverbands arbeiten fast alle Beleghebammen wie die Hebammen in der außerklinischen Geburtshilfe freiberuflich. Das heißt, sie rechnen ihre Leistungen direkt mit den Krankenkassen ab. Aber auch die in einer Klinik angestellten Hebammen sind meistens zusätzlich noch freiberuflich tätig, zum Beispiel in der Wochenbettbetreuung oder mit Kursen. Geschätzt 70 Prozent aller Hebammen arbeiten zum Teil oder vollständig freiberuflich.
Berliner Senat will mit Aktionsplan gegensteuern
Die Probleme wurden nun auch von der Politik erkannt, und erste Reaktionen wurden vor einigen Monaten veröffentlicht. So will der Berliner Senat die Kapazitäten der Hebammenschulen zeitnah weiter erhöhen. Bei einem Runden Tisch im September vergangenen Jahres unter der Leitung von Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) wurde erklärt, dass sich die meisten Kliniken um bessere Arbeitsbedingungen bemühen: „Die Hälfte übernimmt die Kosten der Berufshaftpflichtversicherung ganz oder teilweise, elf Standorte bieten außertarifliche Leistungen, und an 16 Standorten werden Hebammen von berufsfremden Aufgaben entlastet“, heißt es in einem Bericht. Zudem würden fünf Kliniken die Erweiterung ihrer Kreißsäle „konkret planen“.
Ein 10-Punkte-Programm unter dem Titel "Aktionsprogramm für eine gute und sichere Geburt", das im Februar beschlossen wurde, soll für Besserung sorgen. Entwickelt wurde der Plan von Politikern gemeinsam mit Kliniken, dem Hebammenverband, Rettungsdiensten, Ärzteverbänden, Krankenkassen und Elternvertretern. Neben mehr Ausbildungsplätzen und besseren Arbeitsbedingungen an Geburtskliniken will der Senat zusätzlich 20 Millionen Euro für die Erweiterung von Kreißsälen bereitstellen.
Deutscher Hebammenverband fordert umfassende Datenerhebung
Ob dies allerdings ausreicht, ist unklar. Der Deutsche Hebammenverband erklärt auf seiner Website: „Damit alle Frauen die Hebammenhilfe erhalten, die sie benötigen, braucht es einen umfassenden Überblick über die aktuelle Versorgung der Frauen und Kinder.“ Alle Frauen in Deutschland haben das Recht auf Hebammenhilfe, betont der Verband. Und Schwangere sollen selbst entscheiden können, wo und wie sie ihr Kind zur Welt bringen möchten. Doch diese Wahlfreiheit gebe es in einigen Regionen Deutschlands schon heute nicht mehr. Der DHV fordert deshalb eine umfassende Datenerhebung über die heutige Hebammenhilfe in Deutschland, um wirklich klären zu können, wie viele Stellen wo benötigt werden.
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