Corona-Pandemie und die WHO: „Es hätte anders laufen können”

Prof. Detev Ganten ist Pharmakologe, war Vorstand der Charité und ist Präsident des Kongresses World Health Summit
Aufgabe der Weltgesundheits-Organsation WHO ist es, rechtzeitig und umfassend vor globalen Infektionsrisiken zu warnen. Im Fall von Corona habe sie versagt, findet US-Präsident Donald Trump. Die USA traten aus der WHO aus. Über die Rolle der internationalen Organisation in der Corona-Pandemie sprach Gesundheitsstadt Berlin mit dem Experten Prof. Detlev Ganten in einem Podcast.
Prof. Ganten ist Facharzt für Pharmakologie, war Vorstandsvorsitzender der Charité und ist seit 2009 Präsident des World Health Summit, ein alljährlicher Kongress in Berlin mit internationalen Akteuren aus dem Gesundheitswesen und der Gesundheitspolitik.
Corona-Pandemie und WHO: "Es hätte anders laufen können"
Das WHO-Regionalbüro in China meldete am 31. Dezember 2019 das Auftreten einer neuen Lungenkrankheit, erst am 12. März 2020 erklärte die WHO COVID-19 zur weltweiten Epidemie. Hätte das früher geschehen müssen? Ließ das Krisenmanagement der Organisation bezüglich der Corona-Pandemie zu wünschen übrig?
Die WHO habe getan, was sie tun konnte, betont Ex-Charité-Vorstand Ganten. Es hätte anders laufen können, wäre das Virus in Europa oder den USA ausgebrochen. Diese Länder hätten sofort eine internationale Experten-Gruppe ins Land geholt, um die Entwicklung des Erregers zu beobachten.
Keine politische Hand über der Wissenschaft
"China ist China. Die haben zunächst alles versucht, das lokal zu begrenzen und nicht wie andere Staaten oder Gesellschaftsformen mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit zu gehen. Die erste Lehre, die wir daraus ziehen, ist Transparenz, Transparenz, Transparenz. Das gilt für die gesamte Wissenschaft. Es darf keine politische Hand gehalten werden darüber, was erforscht und kommuniziert wird", betont Prof. Ganten.
Es gab Informationen, aber nicht genug. Internationale Virologen - unter ihnen Dr. Christian Drosten - diskutierten zwar schon im Januar 2020 in London über das neue Virus. Da war aber noch nicht klar, wie es sich verbreitet, welche Symptomatik es auslöst, wie gefährlich es ist und wer am ehesten gefährdet ist. Einige deutsche Wissenschaftler behaupteten zu dem Zeitpunkt, COVID-19 sei nicht schlimmer als eine Grippe.
Merkels Ansprache hätte früher kommen können
Die Erklärung einer Pandemie sei ein großer Schritt, meint der Mediziner. Da hätte innerhalb der WHO, der 194 Staaten angehören, ein Konsens vorhanden sein müssen. Den gab es nicht früher. Dazu kommt: "Die WHO sind wir". Im Executive Board, das die Entscheidungen trifft, sitzen nur 34 Länder - unter anderen auch Deutschland. "Wenn die was machen, was uns nicht gefällt, müssen wir daran arbeiten, dass die Dinge so laufen, wie wir wünschen", sagt Prof. Ganten.
Auch in Deutschland sei zu Beginn der Corona-Krise nicht alles perfekt gelaufen. So hätte beispielsweise die Corona-Fernsehansprache von Bundeskanzlerin Angela Merkel (18. März) durchaus früher kommen können. Schließlich breitete sich das Virus hierzulande bereits seit Januar aus.
Europäer müssen nun WHO stärken
Trump warf der WHO auch vor, unter der Kontrolle der Regierung in Peking zu stehen. Hat China einen zu großen Einfluss auf Entscheidungsprozesse des Executive Board oder gar den Generaldirektor Tedros Adhanom Ghebreyesus? Nein, sagt Prof. Ganten.
"Die Organisation funktioniert so gut wie die Staatengemeinschaft will, dass sie funktioniert". Ohne die USA wäre es nun Sache Europas, die WHO zu stärken. Zumal in dieser Region ausreichend Geld, Struktur, Wissenschaft und Intelligenz vorhanden sei, um im Bereich Gesundheit, Entwicklung von Medikamenten und Digitalisierung eine große Rolle zu spielen.
Foto: bs/GHA - German Health Alliance/Volkmar Otto