Angststörungen lassen sich zunächst mit Online-Therapie behandeln

– Foto: Adobe Stock/antonioguillem
Panikattacken, ständige Besorgtheit ohne triftigen Grund, Furcht vor der Ablehnung durch andere Menschen: Angststörungen führen die Rangliste der häufigsten psychischen Erkrankungen noch vor Depressionen an.
Die neue Fassung der S3-Leitlinie zur Therapie und Diagnostik von Angststörungen sieht nun erstmals vor, eine Online-Therapie als Überbrückung bis zum Beginn einer Psychotherapie oder als therapiebegleitende Maßnahme anzubieten.
Bis zu 14 Prozent leiden an einer Angststörung
Das berichten Experten im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie. Bis zu 14 Prozent der deutschen Bevölkerung sind an einer behandlungsbedürftigen Angststörung erkrankt, jeder Vierte leidet mindestens einmal im Leben darunter. Zu den wichtigsten Formen gehören die Panikstörung mit oder ohne Agoraphobie, die generalisierte Angststörung, die soziale Angststörung und spezifische Phobien wie etwa die Angst vor Spritzen.
29 Fachverbände und Organisationen aus den Bereichen Psychotherapie, Psychologie, Psychosomatische Medizin, Psychiatrie, Allgemeinmedizin sowie Patientenvertreter und Selbsthilfeorganisationen haben nun die bisherige Behandlungs-Leitlinie überarbeitet.
"Dafür wurden neu erschienene Publikationen recherchiert und internationale Leitlinien ausgewertet", erläutert Kongresspräsident Prof. Volker Köllner, Ärztlicher Direktor und Chefarzt der Abteilung Psychosomatik, Reha-Zentrum Seehof sowie Leiter der Forschungsgruppe Psychosomatische Rehabilitation an der Charité - Universitätsmedizin Berlin.
Wirksam: Verhaltenstherapie und Medikamente
Für die kognitive Verhaltenstherapie und die Medikamenten-Therapie liegen weiterhin die meisten positiven Studienbefunde vor. "Diese beiden Therapien stehen als Empfehlungen an erster Stelle", erklärt Prof. Borwin Bandelow von der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Göttingen, der an der Leitlinienerstellung federführend beteiligt war.
"Eine psychodynamische Therapie soll angeboten werden, wenn eine kognitive Verhaltenstherapie sich nicht als wirksam erwiesen hat, nicht verfügbar ist oder eine diesbezügliche Präferenz des informierten Patienten besteht", fügt der Angstforscher hinzu. Die psychodynamische Therapie konzentriert sich auf unbewusste Konflikte, die bearbeitet und aufgelöst werden sollen.
Angststörungen zunächst mit Online-Therapie behandeln
Neu ist, dass künftig auch Online-Therapien angeboten werden können. Das erläutert Leitlinien-Koordinator Prof. Manfred Beutel, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Universitätsmedizin Mainz. "Solche Online-Programme lassen sich niedrigschwellig von zuhause durchführen, sind gut erreichbar und flexibel anwendbar."
Dabei absolvieren Betroffene strukturierte Selbsthilfe-Programme, die meist verhaltenstherapeutische Anleitungen zur Bewältigung der Störung geben, oder die Patienten verfassen Blogs, die Therapeuten kommentieren. Ein persönlicher Kontakt mit einem Therapeuten findet nicht statt. Die Online-Therapien sind aber ausdrücklich nur zur Überbrückung bis zum Beginn einer Psychotherapie oder als therapiebegleitende Maßnahme gedacht.
Systemische Therapie bei sozialer Phobie
Weitere Neuerungen der Leitlinie: Die Experten empfehlen eine systemische Therapie bei sozialer Phobie, wenn weder kognitive Verhaltenstherapie noch psychodynamische Behandlung wirksam oder verfügbar sind. Zentrales Konzept der systemischen Therapie ist es, Probleme nicht als Störung eines einzelnen Menschen zu begreifen, sondern als Folge einer Störung im sozialen Umfeld des Individuums. Auch die Möglichkeit, sich bei einer sozialen Phobie in einer virtuellen Realität seinen Ängsten zu stellen, wurde jetzt als Ergänzung zur Standardtherapie empfohlen.